mit dem E-Book "Antidepressiva absetzen" ist letzte Woche ein wichtiger Beitrag zum Thema veröffentlicht worden. Mischa und Melanie berichten darin nicht nur sehr persönlich ihre eigenen Geschichten, sondern haben auch viele Informationen zusammengetragen, die hilfreich sind, wenn man sich mit dem Gedanken befasst, seine Medikation zu reduzieren oder abzusetzen.
Ein E-Book, dass man allerbesten vor dem Absetzen lesen sollte, u.a., weil es die Wichtigkeit des langsamen Ausschleichen betont, aber auch, weil es sich vielen stabilisierenden Aspekten widmet (die auch hier im Forum unter dem Aspekt der Selbstfürsorge und Alternativen verstreut sind), die dazu beitragen können, dass man das Absetzen für sich gut gestaltet. Dazu gehören Ernährung, Bewegung, natürliche Heilmittel, Coping-Strategien um Kopfkino zu durchbrechen, Achtsamkeitsübungen usw. Es ist sicher auch in der Phase nach einem ersten gescheiterten Absatzversuch hilfreich, um neuen Mut zu fassen und sich noch einmal zu trauen, den Weg des Absetzen zu beschreiten sowieso auch generell für diejenigen, die sich im Absetzprozess befinden.
Das Ziel der beiden war es, einen ermutigenden Leitfaden zusammenzustellen, dabei auch potentielle Probleme zu benennen und die individuellen Lösungen nach persönlichen Erfahrungen der beiden aufzuzeigen. Das ist ihnen auch gelungen!
Womit ich nicht konform gehe und das auch Mischa mitgeteilt habe, sind diese doch unglücklich gewählte Formulierungen:
Vor dem Hintergrund, dass Betroffene dieses Forums sehr gerne auf ihre individuelle wirklich schwerwiegende "Horrorgeschichte" verzichten hättet, die oftmals wohl nicht passiert wären, wenn der Diskurs um Absetzsymptomatiken und Wege, diese zu minimieren, besser wäre, hätte ich mir gewünscht, diesen Begriff nicht zu lesen.Wichtig: Bitte sei bei deinen Recherchen im Internet besonders achtsam und kritisch! Dort finden sich viele Horrorstorys über das Absetzen von Antidepressiva und deutlich weniger mutmachende Berichte. Wer problemlos absetzt, ist in der Regel weniger geneigt, darüber in einem Forum oder Blog zu erzählen als jemand, dem es schwergefallen ist. Bitte erinnere dich stets daran, dass der Austausch mit anderen zwar hilfreich sein kann – aber jeder Mensch ganz individuelle Erfahrungen mit Antidepressiva macht und seinen eigenen Weg findet, diese abzusetzen. Informiere dich, aber lass dich nicht von der Panik anderer anstecken.
Ich gehe mit Mischa d'accord, dass sich Absetzen sehr individuell gestalten kann und wir weisen im ADFD immer wieder darauf hin, dass von keinen/kaum über mittelschwere mit schlimme Zustände beim Absetzen, die kurz-, mittelfristig oder leider auch langfristig anhalten können, alles drin sein kann - so natürlich auch unproblematische Absetzverläufe.
Letztendlich berichten in diesem themenspezifischen Forum alle ADFDler offen und ehrlich über ihre oft komplizierteren Symptomatiken, auch deshalb, weil sie keine andere Anlaufstelle im echten Leben haben, was schlimm genug ist - und was sie sicher nicht wollen, ist mit "Horrorgeschichten" andere entmutigen, oder mit "Panik" anstecken.
Formulierungen wie "Im Internet finden sich Berichte von Betroffenen, die eine wirklich harte Zeit haben, ihre Medikamente abzusetzen oder die sich wegen mangelnder Aufklärung und Wissen um Entzugsproblematiken völlig unerwartet in akuten Zuständen befinden oder mit länger andauernde Symptomkomplexe kämpfen müssen" hätten es auch getan.
Erfreulich ist, dass im E-Book zusätzlich nicht nur Psychiater zu Wort kommen, sondern es z.B. auch ein längeres Interview mit Moni von http://www.my-free-mind.at gibt und auch mit dem ADFD-Team (mehr dazu nachfolgend).
Der interviewte Facharzt Dr. Jan Dreher macht deutlich:
Diese Stelle von ihm hätte ich ergänzt:In den etablierten Büchern zur Psychopharmakotherapie stehen Absetzsymptome erst seit wenigen Jahren drin, wenn überhaupt. Früher kannte das kein Mensch. In der Ausbildung hat mir das auch keiner erzählt. Als ich den Blogbeitrag schrieb, wusste ich auch nicht, dass es das gibt. Doch dann kamen sehr viele Kommentare von Patienten, dass es sehr wohl Absetzerscheinungen gibt.
und zwar um die Aspekte, die in der Metastudie auch angesprochen werden:Allerdings gibt es eine Metaanalyse, die untersucht hat, ob ein stufenweises Absetzen besser ist als ein schlagartiges. Die kommt kontraintuitiv zu dem Ergebnis: Ist beides gleich schlecht. Man kann sowohl nach langsamem Ausschleichen als auch nach schlagartigem Absetzen gleich lange Absetzerscheinungen haben.
- dass es generell viel zu wenig systematische Studien gibt (und wenn, dann sind sie industriefinanziert und werden zum Beispiel aufgrund ihrer Ergebnisse garnicht veröffentlicht, wie die Tapering-Phase der Studie 329)
- dass Symptome auch nach kurzer Behandlungsdauer (2 Monate) auftreten können
- dass viele Studien nicht zwischen “Rückfallsymptomen” und “Absetzsymptomen” unterscheiden
- dass Symptome auch verspätet auftauchen und länger anhalten können
- dass langanhaltende postakute Störungen, wie weltweit von Betroffenen berichtet, bisher nicht systematisch untersucht werden (sie sind allerdings in diesem Artikel mit einem neuen Klassifikationsvorschlag für Entzugssymptome eingeflossen)
- und dass es wichtig sei, genau abzufragen, ob typischen Absetzsymptome auftreten und diese nicht mit einem Rückfall zu verwechseln, was ohne ausreichendes Wissen zur Thematik leicht passieren könne. Zudem seien Symptome nicht nur körperlicher Natur, sondern es gibt auch psychische und kognitive Symptome, siehe die Symptomliste in der Studie .
Die Autoren Fava et. al. betonen außerdem, dass der von den Pharmafirmen mitetablierte Begriff Absetzerscheinungen die potentielle, individuelle Schwere der Symptomatiken verschleiere, und der Begriff daher durch Entzugssymptome ersetzt werden solle, da sich die möglichen Symptome, wenn sie auftreten, auch nicht von den potentiellen Symptomen bei anderen psychotropen Substanzen unterscheiden würden, wo man bereits von Entzugssymptomen spricht.
Hier noch drei wichtige Sätze von Jan Dreher:
Ich rate immer zum Ausschleichen, weil ich nicht glaube, dass es genauso schlecht verträglich ist wie das schlagartige Absetzen.
Ich hoffe nur, dass Antidepressiva in der Zukunft realistischer eingeschätzt werden. Und dass der Glaube, dass Antidepressiva alles richten können, relativiert wird.
Geschmunzelt habe ich bei diesen Stellen im E-Book:Und auch in die Frage, ob man sie einfach absetzen kann, ist Bewegung gekommen. Früher hat es einfach geheißen: „Die machen nicht süchtig. Also kann man sie problemlos absetzen.“ Inzwischen ist klar, dass an dem, was die Patienten immer wieder über Absetzerscheinungen berichten, schon etwas dran ist und man das differenzierter sehen muss.
Manche Fachleute empfehlen das Absetzen in 10-Prozent-Schritten (also z. B. von 50 mg auf 45 mg). Bei Tabletten ist das aber nicht immer
durchführbar.
In den letzten 13 Jahren wurden von den ADFDlern so viele kreative Wege gefunden, ihr Tabletten kleinzukriegen, dass wir hier glaube ich für fast alles ein Lösung haben. Und ansonsten muss der begleitende Facharzt eben eine Individualrezeptur ausstellen. Ich habe beim Vortrag zum ADFD bei der DGSP allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass sowohl die Individualrezeptur als auch die Wasserlösmethode selbst bei Psychiatern nicht bekannt sein können - die Fachleute diese Hinweise aber interessiert und mit Nachfragen zur Durchführung aufgenommen haben.Mit Antidepressiva in Tropfenform geht das Absetzen häufig noch leichter. Schwieriger ist es, wenn es sich um Kapseln handelt.
Falls sich jemand von Euch sich das E-Book besorgt und liest, kann er gerne in diesem Thread seine Rezension einstellen und zum Beispiel berichten, was aus dem E-Book besonders hilfreich war! Ich kann mir gut vorstellen, dass man von den vielen Tipps und Informationen, die dieses E-Book bündelt, profitiert und freue mich, dass es auf dem Markt ist und den Diskurs bereichert.