Hallo
,
einen Gruß von meinem Mann soll ich euch sagen und
hier ist die Übersetzung :
Arzt Erfahrungen Antidepressiva Entzug
Anmerkung der Redaktion: Sven Ternov, ein in Schweden arbeitender Arzt, schrieb kürzlich diesen Artikel, der im Januar 2013 in DagensMedicin erschien. Er hat ihn für RxISK stories übersetzt. Einige andere Ärzte haben über ihre Schwierigkeiten beim Entzug von Antidepressiva geschrieben -
meistens Männer, was interessant ist.
Posts an RxISK zum Entzugsthema, Antidepressant Withdrawal: V´s story und Monica`s Story haben zur größten Anzahl von Kommentaren und hilfreichen Leserbeiträgen geführt.
Warnung SSRI-Entzug genauso schlimm wie Benzodiazepin-Entzug ?
Nachdem ich unter endogener Depression gelitten hatte wurde mir für einige Jahre Venlafaxin verschrieben. Aus verschiedenen Gründen schien es mir eine gute Überlegung zu sein, den Versuch zu unternehmen, die Medikation zu beenden. Mit großer Sorgfalt (zumindest dachte ich so) habe ich in einem Zeitraum von einem Monat versucht, das Medikament abzusetzeb, und zunächst hatte es den Anschein, damit Erfolg zu haben.
Schlag von hinten
Jedoch kaum war eine Woche vorbei seit das letzte Metabolit mein Organsystem verlassen hatte, als ich mich Entzugssymptomen auf einem erschreckenden Level ausgesetzt sah. Zunächst erlebte ich ein Gefühl, das nur als elektrische Schläge in meinem Kopf beschrieben werden kann (dies ist ein typisches Absetzsymptom der SSRI`s, oft auch beschrieben als „head bangs“ - od. „brain zaps“). Es ist ein sehr unangenehmes Gefühl im Kopf, so als ob das Gehirn sich jedesmal, wenn ich meinen Kopf drehte, weigerte, ihm zu folgen.
Ich war auch tinnitus-änlichen Gehörhalluzinationen ausgesetzt, gefolgt von einer enormen Müdigkeit fast auf der Höhe einer Narkolepsie (Schlafkrankheit). Unter anderem beeinträchtigte diese Müdigkeit meine Fahrtüchtigkeit. Ich war mir bewußt, daß der Wagen auf Grund meines Fahrens unregelmäßig zwischen der Mittellinie der Straße und der Seitenlinie torkeln würde. Ich kam zu dem Schluß, daß der Grund hierfür höchstwahrscheinlich mehreren Episoden von Sekundenschlaf geschuldet war. Im Ergebnis gab ich das Autofahren für mehrere Wochen fast vollständig auf. Wie auch immer, wenn ich wirklich fahren mußte, hatte ich keine andere Option, als nach jeweils 20 Minuten am Steuer für einen Zeitraum von 5 Minuten auf dem Rücksitz zu schlafen, um einen relativen Grad an Sicherheit aufrechtzuerhalten.
Wikipedia 1 Medikamenteninformationsblätter 0
Diese „Absetzsymptome“ traten völlig unerwartet auf. Obwohl es keine leichte Aufgabe war Informationen über SSRI/SNRI Abstinenzsymptome zu finden, habe ich etwas im Internet nachgeforscht. Wikipedia hatte einen ausgezeichneten Artikel über SSRI-Entzugserscheinungen, der für mich gänzlich neu war. Dieser Artikel erwähnte die „head bangs“, die Müdigkeit und viele andere unerfreuliche Nebenwirkungen einschließlich verschiedener Arten sexueller Funktionsstörungen, die für eine sehr lange Zeit nach dem Absetzen des Medikaments fortbestehen können.
Zeitgleiches Lesen des FASS (das schwedische Arzneibuch) ergab, daß diese Symptome tatsächlich in einem kleinen Unterabsatz unter der Überschrift „Absetzsymptome“ erwähnt werden, eingefügt unter einer riesigen Textmenge mit der Hauptüberschrift „Warnungen und Vorsicht“. Die Beschreibung dieser Symptome ist sehr vage verglichen mit Wikipedia. „Head bangs“ werden gar nicht erwähnt, warum auch immer.
Notizen zu einem weiteren Skandal
Dies führt mich zu zwei Überlegungen. Die eine ist, daß es skandalös ist, daß wir als Verschreiber dieser Medikamente so schlecht über SSRI/SNRI Entzugs-/Absetzprobleme informiert sind. Die Patienten fragen oft, ob sie von diesen Medikamenten abhängig werden können, und wir antworten ohne jegliche Ahnung : „Nein, das ist nicht möglich.“
Worüber wir unsere Patienten informieren sollten, ist die Möglichkeit, einer großen Menge von Problemen ausgesetzt zu sein, an dem Tag, an dem die Entscheidung getroffen wird, daß sie diese besondere Art der Medikation beenden sollten. Abhängigkeit kann sehr schnell auftreten, soweit dies auf Grund der verstreuten Informationen auf verschiedenen Internetseiten, einschließlich Blogs, zu beurteilen ist. Sie kann innerhalb von 2 – 3 Monaten eintreten – einige Medikamente sind insoweit schlimmer als andere.
Wann sollten Sie das Risiko eingehen ?
Die andere Überlegung ist, daß wir viel zu hastig SSRI/SNRI für verschiedenartige Beschwerden des Lebens verschreiben. Die Indikation ist (oder war zumindest) die endogene Depression. Leider hatte die pharmazeutische Industrie Erfolg mit der Ausweitung der Liste der Funktionsstörungen, für die SSRI verschrieben werden dürfen, einschließlich Zwangsstörung, Paniksyndrom mit oder ohne Agarophobie (Platzangst), Sozialphobie, generalisierte Angststörung, posttraumaisches Belastungssyndrom.
Nach meiner Auffassung ist es völlig unverantwortlich, die Patienten den Nebenwirkungen dieser Medikamente auszusetzen, nur weil sie „gegen eine Mauer laufen“ oder unter einer anderen ähnlichen Art von Erschöpfungsstörung leiden. Es ist keine bewährte Indikation für die Verabreichung dieser Art von Medikation und war es auch nie gewesen.
SSRI`s genauso schlimm wie oder schlimmer als Benzos
Eine Literatursuche in der PubMed Datenbank nach SSRI und SNRI – Entzug ergab nur sieben Treffer. Von diesen war der einzig relevante Artikel von Goetzsche und Nielsen (vom Nordic Cochrane Center in Kopenhagen).
Nielsen und Goetzsche sind der Auffassung, daß ein Patient durch SSRI`s der gleichen Art von Sucht (EDIT: bzw. körperlicher Abhängigkeit) ausgesetzt ist wie durch Benzodiazepine. Wie auch immer, die Klassifizierung der Abhängigkeit in DSM-III (diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen) wurde 1987 geändert, kurz bevor SSRI`s auf den Markt kamen , so daß sie dem „Sucht-Stempel“ (EDIT: Abhängigkeits-Stempel) entgingen (was sich heftig auf den Absatz ausgewirkt hat).
Sie kamen zu dem Schluß : „Entzugsreaktionen bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern scheinen denjenigen von Benzodiazepinen vergleichbar zu sein. Der Hinweis auf diese Reaktionen als Teil eines Abhängigkeitssyndroms im Falle der Benzodiazepine, jedoch nicht der SSRI`s, erscheint nicht rational.“
„Business as usual“ kann nicht weitergehen
Ich schlage vor, daß unsere Verordnungen von SSRI`s/SNRI`s neu zu kalibrieren sind. Vor der Verschreibung sollten wir nicht versäumen, die Patienten über die Risiken von Absetzproblemen zu informieren, und, da das Risiko mit der Dauer der Behandlung zu steigen scheint, den Behandlungszeitraum so kurz wie möglich zu halten.
Schließlich schlage ich nachdrücklich vor, daß der Text im Arzneibuch zu SSRI/SNRI`s in Übereinstimmung mit den obigen Ausführungen abgeklärt wird und eine deutliche Warnung enthalten sollte.
RxISK Anmerkungen
Dr. David Healy war ein Gastredner bei einem Meeting der Antidepressiva-Gruppe der dänischen Universitäten im November 2012, organisiert von Per Blech. Bei diesem präsentierte Peter Goetzsche die oben angesprochene Arbeit von Margrethe Nielsen, die aufzeigt, daß SSRI-Abhängigkeit und -Entzug genauso verbreitet und genauso schlimm ist wie Benzodiazepin-Abhängigkeit. Im Publikum waren dort etwa einhundert Psychiater.
Es gab dort Tumulte. Vor allem die älteren Psychiater waren wütend über die Meinung, daß SSRI`s Probleme verursachen könnten und stark daran interessiert, Peter mitzuteilen, daß er einfach keine Vorstellung habe, wie entsetzlich der Benzodiazepinentzug sei. Goetzsches Problem ist, daß er kein Psychiater ist.
Ich (dagegen) bin Psychiater, und die SSRI-Abhängigkeit erscheint mir schlimmer und meist genauso verbreitet wie die Benzo-Abhängigkeit. Aber dies sollte nicht eine Frage der persönlichen Meinung sein.
Auf RxISK haben wir einen Terminator-Algorithmus für Symptome und Probleme, die bei Einstellung der Behandlung auftreten (SoS -Symptoms on stopping). Es gibt einfache Wege, zwischen Abhängigkeit und Entzug und anderen Problemen zu differenzieren. Diese führen zu einer objektiven RxISK-Punktzahl. Angesichts einer Höchstwertung wäre es nachlässig von Ihrem Arzt, die Möglichkeit einer Abhängigkeit und eines Entzugs nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Jedes Medikament kann Entzugsprobleme verursachen, die tödlich sein können, inklusive einer Reihe von Darmmedikamenten, Antihypertensiva (Blutdrucksenker) und anderen. Es gibt neue Medikamente wie z.B. MAB`s und Bisphosphonate (zur Behandlung von Osteoporose), welche mit ziemlicher Sicherheit zu Entzugsproblemen führen werden, und wir möchten jeden, der diese Medikamente nimmt, oder die Ärzte, die sie betreuen, dazu einladen, uns Berichte über die Symptome beim Absetzen, über deren Dauer und darüber, ob irgendetwas hilft, das Problem zu lindern, zukommen zu lassen.
Wir möchten insbesondere, daß Sie RxISK Reports generieren, mit zu Ihrem Arzt nehmen und uns eine Rückmeldung geben, wie er reagiert. Wenn Ärzte wie Sven Ternov bestätigen, daß ein Problem real ist, hat dies einen großen Einfluss auf andere Ärzte.