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Katinka Newman: Nebenwirkung Akathisie, Psychose, Suizidgedanken

Sammlung von Erfahrungsberichten mit Psychopharmaka.
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Murmeline
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Katinka Newman: Nebenwirkung Akathisie, Psychose, Suizidgedanken

Beitrag von Murmeline »

Moni von My Free Mind hat einen Erfahrungsbericht übersetzt.
Originalquelle: http://www.dailymail.co.uk/health/artic ... kdown.html

Übersetzung auf My Free Mind: http://my-free-mind.at/eine-pille-die-leben-stiehlt/

Erfahrungsbericht Katinka:

Kurze Zeit nach meiner Scheidung, suchte ich meinen Hausarzt auf.

Obwohl die Entscheidung einer Trennung meines Mannes Robert und mir richtig gewesen ist, brachten die Scheidung und der Verkauf unseres gemeinsamen Hauses viel Stress in mein Leben.

Beruflich drehte ich Dokumentarfilme und als ich nach der Arbeit nach Hause kam, begann in Wein zu trinken und Schlaftabletten zu nehmen, um zur Ruhe zu kommen.

Meine Hausärztin sagte mir, sie könne mir nicht helfen. Heute weiß ich, dass sie damit Recht hatte. Ich hätte die schlaflosen Nächte und den Schmerz zulassen sollen. Es wäre mit der Zeit besser geworden.

Wir – also Robert, unsere Kinder Lily (damals 11) und Oscar (10) und ich – hätten uns mit der Zeit an die neuen Umstände gewöhnt.

Doch ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch, suchte eine schnelle Lösung und war bereit, dafür zu zahlen. Ich glaubte daran, dass mir jemand dabei helfen könnte, meine Gefühlslage schnell zu verbessern.

Also suchte ich einen privaten Psychiater auf. Nach einem 20-minütigen Gespräch, erklärte er mir, dass ich depressiv sei und verschrieb mir ein Antidepressivum, Escitalopram.

Während ich also versuchte, vor meinen Problemen davon zu laufen (wenn auch nur ein wenig), begann ein Abstieg in die Hölle. Denn ich erfuhr starke Nebenwirkungen auf dieses Medikament und verwandelte mich in ein selbstverletzendes, halluzinierendes und suizidales Häufchen Elend.

Leider erkannten die Ärzte meine Symptome nicht als Nebenwirkungen auf das Antidepressivum, sondern verschrieben mir stattdessen noch mehr Medikamente.

Escitalopram ist ein Antidepressivum der Klasse der SSRI. Diese Medikamente sollen das Level des Glückshormons Serotonin im Gehirn erhöhen.

Eine Theorie besagt, dass sich die Stimmung von depressiven Personen mit dem Anheben des Serotoninlevels bessert. Doch viele Experten widersprechen dieser Theorie mittlerweile. Tim Kendall, Direktor des Nationalen Zentrums für Geistige Gesundheit in England, lehnt die Serotonin Hypothese als „kompletten Blödsinn“ ab und meint, das wäre nur die Erklärung der Pharmafirmen, um die Medikamente verkaufen zu können.

Ein paar Stunden nachdem ich meine erste Tablette genommen hatte, spürte ich einen Effekt, der mich in eine Psychose führte. Ich konnte nicht still sitzen und fühlte mich sehr unruhig. Dies wird in Fachkreisen Akathisie genannt und ist eine bekannte Nebenwirkung von Antidepressiva.

Es war so, als würde ich die Kontrolle darüber verlieren, was ich sage – so als würde etwas anderes die Kontrolle über meinen Körper und Geist übernehmen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich mir sicher, dass das der letzte Tag meines Lebens sein wird. Meine Tochter Lily fragte mich, was mit mir los sei, doch ich hatte bereits begonnen, stark zu halluzinieren.

Stunden später nahm ich ein Küchenmesser und fügte mir eine Verletzung am Arm zu. Ich hatte großes Glück, mich oder jemand anderen nicht ernsthafter verletzt zu haben. Ich hatte den Bezug zur Realität verloren. Ich dachte, ich würde träumen.

In dieser Nacht brachte mich meine Schwester in eines der teuersten Privatspitäler in London. Dort gab man mir Beruhigungsmittel und sperrte mich in ein Zimmer mit vergitterten Fenstern, wo ich einschlief.

In den nächsten Tagen beruhigte ich mich und begann zu realisieren, was passiert war.

Ich erklärte meinem Arzt, dass ich seit Einnahme der Escitalopram Stimmen hörte, die über Selbstmord sprachen und paranoide Halluzinationen erlebte.

„Das Medikament macht mich verrückt“, sagte ich ihm. Doch dann erklärte mir ein anderer Arzt, dass ich sehr krank war und stellte die Diagnose „psychotische Depression“, eine seltene Erkrankung, bei welcher schwere depressive Stimmungen zusammen mit Halluzinationen auftreten.

Ich bekam ein neues Antidepressivum. Danach wurde die Akathisie noch stärker. Mein Körper zuckte vor unwillkürlichen Bewegungen. Meine Geistesklarheit war wie verschwunden. Als meine Kinder mich besuchen kamen, konnte ich nicht mit ihnen sprechen.

Mein Zustand verschlechterte sich und ich erlebte die angsterfülltesten Erfahrungen, die ein Mensch wohl machen kann.

Eine bekannte Nebenwirkung von Antidepressiva ist der Verlust von Empathie. Auf einmal interessierten mich meine Mitmenschen gar nicht mehr.

Als ich aus dem Spital entlassen wurde, hatte ich zu viel Angst, hinaus zu gehen und andere Menschen zu treffen.

Meine Ärzte schlugen noch mehr Medikamente vor.

Ein Jahr später nahm ich fünf Psychopharmaka ein – darunter Antipsychotika und Stimmungsstabilisatoren.

Eines davon war Olanzapin, ein starkes Antipsychotikum, das mit schweren Nebenwirkungen, wie Diabetes, in Zusammenhang gebracht wird. Es kann auch Fressanfälle verursachen.

Sehr schnell nahm ich 20kg zu. Ich trug einen alten Trainingsanzug, der beim Gehen an mir herunter hing. Ich brauchte jemanden, der mich wusch und anzog, denn ich konnte mich nicht mehr selbst versorgen.

Die Effekte auf meine Kinder waren verehrend. Mein Sohn Oscar bat mich, nicht in die Nähe seiner Schule zu kommen. Ich erinnere mich sehr lebhaft daran, als er sagte: „Ich hasse dich, Mum. Ich will dich nicht hier haben, bitte geh weg!“

Als ich die Reaktionen meiner Kinder nicht mehr ertragen konnte, gab ich sie in die Obhut meines Mannes und zog in eine andere Wohnung. Dort aß und rauchte ich nur; nachdem ich 20 Jahre lang nicht geraucht hatte, rauchte ich nun 70 Zigaretten am Tag.

Was mich schlussendlich gerettet hat, war der Blick in den Spiegel – aufgebläht, ungepflegt, mit glasigen Augen.

Ich stellte mir die traurigen Gesichter meiner Kinder bei meiner Beerdigung vor. Das konnte ich ihnen nicht antun.

11 Monate nachdem mir das erste Antidepressivum verschrieben worden war, bat ich also erneut darum, in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden. Diesmal nicht in eine teure Privatklinik, sondern in ein öffentliches Krankenhaus. Dort sagte ich dem Personal, dass ich nicht mehr leben möchte. Sie nahmen mich sofort auf.

Die Ärzte setzten alle Antidepressiva ab. Der erste Effekt darauf war furchtbar: Ich konnte nicht schlafen, nicht essen, nicht denken. Ich war vor Schmerzen gekrümmt.

Drei Wochen später weinte ich vor absetzbedingten Emotionen. Weinen? Mir fiel auf, dass ich zum ersten Mal seit einem Jahr etwas fühlte. War das der Weg zur Besserung?

Ja. Nach einer Woche verschwanden meine mysteriösen Symptome und all meine Selbstmordgedanken.

Ich durfte mit meiner Tochter einkaufen gehen, wir lachten viel.

Ich fühlte etwas, das ich sehr lange Zeit vermisst hatte: Menschliche Wärme. Ich war zurück.

Das war im Herbst 2013. Innerhalb von ein paar Wochen fand ich einen Job, ein neues Haus und begann, für einen Halbmarathon zu trainieren.

Außerdem grub ich meine Fähigkeiten als Reporterin wieder aus und begann über die Gefahren von Antidepressiva zu recherchieren.

Ich weiß, dass nicht jeder so schwerwiegende Nebenwirkungen auf Antidepressiva erfährt, wie ich. Und ich nehme an, viele profitieren auch von der Wirkung der Medikamente.

Und doch, wo auch immer ich hin ging, traf ich auf Erzählungen von Menschen, deren Leben sich seit Einnahme dieser Substanzen verschlechtert hatten.

2013 wurden in England mehr als 57 Millionen Rezepte für Antidepressiva ausgestellt – dies ist ein Anstieg von mehr als 500 Prozent seit 1992. 11% der Frauen und 6% der Männer nehmen diese Medikamente.

Natürlich leidet nicht jeder an Nebenwirkungen, doch sie treten häufiger auf, als man glaubt.

David Healy, Professor der Psychiatrie an der Bangor Universität, erzählte mir, dass ungefähr eine von 100 Personen, die Escitalopram nehmen, betroffen ist. Forscher des Nordic Cochrane Zentrums veröffentlichten zuletzt einen großen Artikel, welcher besagt, dass Antidepressiva das Risiko für Selbstmord bei unter 18-jährigen verdoppeln.

Fakt ist, dass das Leben manchmal hart ist. Meiner Meinung nach, sollte die Antwort eines Arztes auf die Aussage „Ich befinde mich in einer Scheidung und weine den ganzen Tag“, lauten: „Gut, genau das sollten Sie jetzt tun. Dafür sind Tränen da.“

Viel zu oft geben Ärzte dem Druck der Patienten nach, die sich eine schnelle Lösung wünschen – eine Pille, die auf magische Art und Weise alle Schmerzen und Schwierigkeiten auslöscht.

Gibt es mehr positive oder mehr negative Effekte beim Gebrauch von Antidepressiva? Medizinische Experten haben hierzu gegensätzliche Meinungen.

Leider werden einige Nebenwirkungen von Medikamenten von Pharmafirmen nicht offen kommuniziert.

Professor Dinesh Bhugra sagte mir, dass zuvor nicht veröffentlichte Studien belegen, dass Antidepressiva bei gering- bis mittelgradig ausgeprägten Depressionen nicht besser wirken, als ein Placebo.

Professor Kendall sagt: „Manche Menschen reagieren sehr schlecht auf diese Medikamente.“

Alle Antidepressiva werden mit Absetzsymptomen assoziiert und viele Patienten haben jahrelang Probleme und Schwierigkeiten, sie abzusetzen.

Die Menschen brauchen genaue Informationen über die Risiken (genauso wie über die Vorteile) dieser Medikamente. Da reicht der kleine Beipackzettel nicht aus, welcher in sehr kleinen Buchstaben darüber informiert, dass 1 von 1000 Personen Gewalt und Halluzinationen als Nebenwirkungen erleben kann.

Ich stimme Experten zu, die beantragen, dass auf den Medikamentenpackungen große Warnungen gedruckt werden sollten.

Während meiner Recherchen fand ich heraus, weshalb ich – und wahrscheinlich unzählige andere Menschen auch – unter so extremen Nebenwirkungen gelitten habe.

Selma Eikelenboom ist medizinische Leiterin eines Zentrums in Colorado. Sie ist der Meinung, dass viele Menschen, die schlecht auf Antidepressiva reagieren, eine spezielle Genmutation (einen sogenannten Polymorphismus) aufweisen, der es ihnen nicht ermöglicht, die Medikamente schnell genug abzubauen. Stattdessen wird die Dosis giftig.

Diese Gene haben einen Einfluss auf eine Enzymgruppe mit dem Namen Cytochrome P450, welche für den Medikamentenstoffwechsel zuständig ist.

Von dem her, können ein und dieselben Medikamente für manche einen positiven Effekt zeigen, für andere aber gesundheitsschädigend sein.

Wieso haben meine Ärzte die Symptome nicht als Nebenwirkungen erkannt?

Als es mir besser ging, konfrontierte ich sie damit.

„Was Ihnen passiert ist, war ein unglücklicher Zufall“ sagten ein Arzt. Es war möglich, dass ich die Medikamente nicht verstoffwechseln konnte. Da war keine Wärme in seinen Augen. Ich wusste nicht, ob es ihm wirklich leid tat oder er noch immer glaubte, ich wäre verrückt.

Er betonte: „Ich werde weiterhin Psychopharmaka verschreiben.“

Ich werde immer wieder gefragt: Was sind Alternativen zu Antidepressiva? Die Antwort ist für viele von uns: Keine Antidepressiva zu nehmen.

Das Leben kann sehr hart sein. Trauer, Verzweiflung, gebrochene Herzen – das sind alles alltägliche Themen. Meine eigene Erfahrung zeigt mir, dass Geist und Körper fähig sind, mit den Auf und Abs des Lebens fertig zu werden.

Doch wenn man diesen Weg mit bestimmten Substanzen verkürzen will – Alkohol, Drogen oder Medikamenten – geht man ein Risiko ein.


Katinka hat ein Buch geschrieben: Pill that Steals Lives
Erfahrung mit Psychopharmaka (Citalopram, langjährig Venlafaxin und kurzzeitig Quetiapin), seit 2012 abgesetzt
Hinweis: Das Team sorgt für die Rahmenbedingungen im Forum und organisiert den Austausch. Ansonsten sind wir selbst Betroffene und geben vor allem Erfahrungswerte weiter, die sich aus unserer eigenen Geschichte und aus Erfahrungen anderer ergeben haben.

Dein Behandler nimmt Absetzproblematik nicht ernst? Das geht anderen auch so, siehe hier
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Murmeline
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Re: Katinka Newman: Nebenwirkung Akathisie, Psychose, Suizidgedanken

Beitrag von Murmeline »

Und hier ihre Website: http://www.thepillthatsteals.com
Erfahrung mit Psychopharmaka (Citalopram, langjährig Venlafaxin und kurzzeitig Quetiapin), seit 2012 abgesetzt
Hinweis: Das Team sorgt für die Rahmenbedingungen im Forum und organisiert den Austausch. Ansonsten sind wir selbst Betroffene und geben vor allem Erfahrungswerte weiter, die sich aus unserer eigenen Geschichte und aus Erfahrungen anderer ergeben haben.

Dein Behandler nimmt Absetzproblematik nicht ernst? Das geht anderen auch so, siehe hier
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Clarissa
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Re: Katinka Newman: Nebenwirkung Akathisie, Psychose, Suizidgedanken

Beitrag von Clarissa »

Danke, liebe Murmeline, für das Einstellen dieser Geschichte.

Sie ähnelt meiner eigenen.
(Nur, leider, daß ich nicht so gut "davongekommen" bin.)

Wenn ich meine Ärzte/Therapeuten damit konfrontierte, z.B. mit den Nebenwirkungen der PP bei mir (das habe ich von Beginn an versucht) oder jetzt mit den anhaltenden Entzugsbeschwerden, sah ich Unglaube, Abwehr, Ignoranz, Überdruss in ihren Augen. Keine Wärme, keine Empathie. Ich hatte nicht den Eindruck, einen einzigen erreicht zu haben. Vorschlag der Ärzte war ausnahmslos: neue, weitere, andere Medikamente, steigende Dosierungen, Kombinationen (außer, was die Benzos betrifft, natürlich), oder lieber gleich staionärer Aufenthalt mit Elektroheilkrampftherapie.

Mein Wunsch ist, daß keiner mehr in die Psychopharmaka/Psychiatrie-Falle gerät und derartige Fehlbehandlungen ertragen muß.

VG sendet sleepless.
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