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Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Eine Sammlung von Artikeln, die über wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Hintergründe der Behandlung von seelischen Leiden mit Psychopharmaka berichten.
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Murmeline
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Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Beitrag von Murmeline »

Das arznei-telegramm (neutral und unabhängig) bewertet SSRI

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind Alternativen zur Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva, wenn das Spektrum der unerwünschten Wirkungen (ZNS-Störungen, gastrointestinale Effekte) subjektiv tolerabler erscheint als das der Trizyklika. Wegen der unbefriedigenden Datenlage zu Nutzen und Risiken sind SSRI wie alle Antidepressiva kritisch und zurückhaltend zu verwenden:

Jede Empfehlung eines SSRI, die sich an den veröffentlichten Studien orientiert, beruht auf verzerrter Datenlage, urteilten 2003 Mitarbeiter der schwedischen Arzneimittelbehörde. Dies ist 2008 durch die bislang umfangreichste Analyse dieser Art bestätigt worden, in der die Daten aus 74 Studien, die der US-amerikanischen FDA vorliegen, mit den publizierten Ergebnissen abgeglichen werden. Von den 38 Studien mit positivem Ergebnis ist nur eine (3%) nicht veröffentlicht. Von den 36 Negativstudien bleiben hingegen 22 (61%) unpubliziert. 11 (31%) weitere sind zwar in Zeitschriften erschienen, aber so verfasst, dass sie fälschlich ein positives Ergebnis vermitteln. Von den insgesamt 36 Negativstudien sind also nur 3 (8%) als solche veröffentlicht. Wertet man nur die öffentlich zugänglichen Studien aus, ergibt sich bei einem Anteil positiver Ergebnisse von 94% der Eindruck kalkulierbarer Wirksamkeit. Von den der FDA insgesamt vorliegenden Untersuchungen fallen jedoch nur 51% positiv aus.

Die zunehmenden Verordnungszahlen für SSRI beruhen auch auf dem Schaffen neuer Indikationen (Panikattacken, Angstsyndrome, Essstörungen, Zwangsstörungen, Phobien u.a.).

Obwohl sich die verfügbaren SSRI chemisch zum Teil erheblich voneinander unterscheiden, ist ihre antidepressive Wirksamkeit insgesamt nicht besser als die der trizyklischen Antidepressiva und zudem überwiegend Plazebo nur gering überlegen.

In einer 2008 veröffentlichten Metaanalyse werden sämtliche Daten zu den vier Antidepressiva (Fluoxetin, Paroxetin, Venlafaxin und dem hierzulande nicht mehr angebotenen Nefazodon-HCl) aus den bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA eingereichten Zulassungsstudien einbezogen - einschließlich der negativ verlaufenen Studien. Danach liegt deren mittlere Wirkstärke, gemessen mit der HAMILTON-Depressionsskala, nur 1,8 Punkte über den unter Plazebo erhaltenen Werten. Dieses Ergebnis ist zwar statistisch signifikant, bleibt aber deutlich unter dem vom britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) etablierten Grenzwert für relevante klinische Wirksamkeit, der einen Unterschied von mindestens drei Punkten voraussetzt. Nur bei sehr schwer depressiv Erkrankten (mehr als 28 Punkte auf der HAMILTON-Skala) erreicht die Differenz zwischen Scheinmedikament und Antidepressiva klinische Relevanz. Der größere Unterschied beruht aber nicht darauf, dass Patienten mit schwerer Depression besser auf Antidepressiva ansprechen, sondern auf einem weniger ausgeprägten Plazeboeffekt bei diesen Patienten. Unter Praxisbedingungen wird der Anteil der Patienten mit einer Depression von diesem Schweregrad auf 5% geschätzt. Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Citalopram und Sertralin, zu denen unveröffentlichte Negativstudien vorliegen, bei denen aber die für eine metaanalytische Auswertung erforderlichen Daten nicht verfügbar sind, wurden in der aktuellen Arbeit nicht berücksichtigt, um einen Publikationbias zu vermeiden.

SSRI sind nicht generell besser verträglich als Trizyklika, haben aber ein anderes Spektrum von Störwirkungen. Die geringeren anticholinergen Effekte werden mit anderen unangenehmen Effekten wie Agitation, Erregungszustand, Aggressivität, Psychosen, Ängstlichkeit, Kopfschmerz und Schlafstörungen sowie gastrointestinalen Beschwerden erkauft. Insgesamt ist unter SSRI nicht seltener mit Störwirkungen zu rechnen als unter Trizyklika. Zusätzlich ist bei SSRI mit schweren Immunerkrankungen zu rechnen: mit Myalgien, eosinophiler Pneumonitis, Vaskulitis, Serumkrankheit u.a.

Überdosierungen von SSRI enden seltener tödlich als Vergiftungen mit Trizyklika. Bessere kardiovaskuläre Verträglichkeit soll - neben selteneren anticholinergen Störwirkungen - ein Vorteil gegenüber Trizyklika sein. Diese Einschätzung erscheint anhand von Berichten über Tachykardie, koronare Ischämie oder Hirninfarkt zweifelhaft.

SSRI und Trizyklika verdoppeln etwa das Risiko von Stürzen und Schenkelhalsbrüchen, ohne dass sich zwischen den beiden Stoffgruppen relevante Unterschiede ausmachen lassen.

Die unerwünschten Effekte von SSRI auf Libido, Erregung und Orgasmus (verzögerte bzw. verringerte Intensität) und Ejakulationsvermögen sind so ausgeprägt, dass versucht wird, die Störwirkungen therapeutisch zu nutzen, z.B. bei sexuellen Perversionen oder vorzeitiger Ejakulation. Der SSRI Dapoxetin ist seit 2009 ausschließlich gegen vorzeitige Ejakulation zugelassen. Seit 2013 muss auf Veranlassung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA in den Fachinformationen von SSRI auf Beeinträchtigungen der Spermienqualität hingewiesen werden. Ob sich SSRI auch auf die Zeugungsfähigkeit auswirken, ist bislang noch nicht direkt geprüft. Die Daten legen jedoch einen ungünstigen Effekt nahe.

Das Suizidrisiko im Rahmen der depressiven Erkrankungen ist auch bei Erwachsenen unter SSRI erhöht. Bei der Auswertung von Studien besteht immer noch das Problem, dass sich hinter Angaben wie "emotionale Labilität" schwerwiegende Ereignisse verbergen, von Suizidgedanken bis zur ausgeführten Selbsttötung. Wirkstoffe mit langer Halbwertszeit wie Fluoxetin scheinen nach einer Metaanalyse ein geringeres Risiko zu besitzen, Suizidalität auszulösen, als Abkömmlinge mit kürzerer Halbwertszeit wie Fluvoxamin.

Angesichts der weitgehend fehlenden Nutzenbelege zur Behandlung der Depression des Kindes, der fehlenden Zulassung für diese Indikation und des erhöhten Risikos der Suizidalität ist von der Anwendung von SSRI und verwandten Mitteln bei Kindern mit Depressionen abzuraten (kontraindiziert). Wie bei Kindern und Jugendlichen steigt nach einer Metaanalyse der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA unter Einnahme von Antidepressiva auch bei jungen Erwachsenen bis 24 Jahren die Suizidalität, insbesondere das Risiko suizidaler Handlungen. Dies hat zu einer Erweiterung des Warnhinweises der FDA geführt. In der Folgezeit sind die Verordnungen von Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen zurückgegangen. Berichte darüber, dass dies mit einer Zunahme der Suizide einhergegangen sein soll, haben sich als Fehldarstellungen erwiesen.

Häufigkeit und Intensität von Entzugssymptomen nach Absetzen von SSRI weisen auf eine abhängigkeitauslösende Potenz hin. Ein offenbar häufiges und quälendes, bislang aber unterschätztes Symptom des Entzugs (zum Teil bereits schon, wenn die Einnahme einer Tablette vergessen wird), sind Stromschlag-artige bzw. Elektroschock-ähnliche Missempfindungen. Die "Rückfälle" bei Absetzversuchen bieten klinisch ein vergleichbares Bild wie die Niedrig-Dosis-Abhängigkeit bei Benzodiazepinen mit einer extremen Bindung des Patienten an sein Arzneimittel. Nachlassende Wirksamkeit wird mit Dosissteigerung, Präparatewechsel ("SSRI-Karussell") oder Kombination verschiedener Wirkstoffe beantwortet.

Nach einer Fallkontrollstudie mit 1.200 Neugeborenen geht die Anwendung von SSRI in der Schwangerschaft im Vergleich zur Nichtanwendung von SSRI mit einem sechsfach erhöhten Risiko für Lungenhochdruck einher. Ferner ist bei Neugeborenen mit Entzugssymptomen wie Krampfanfällen und Atemstörungen zu rechnen. Unter Paroxetin sind Fehlbildungen beschrieben. Citalopram und Sertralin werden als in der Schwangerschaft im Allgemeinen gut verträglich eingestuft, wenn eine therapiebedürftige Depression vorliegt.

http://www.arznei-telegramm.de/db/wkstx ... ve&ord=uaw, Stand 24.10.2014
Erfahrung mit Psychopharmaka (Citalopram, langjährig Venlafaxin und kurzzeitig Quetiapin), seit 2012 abgesetzt
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Re: Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Beitrag von LinLina »

Hallo murmeline,

das ist ja ein super Statement, das kannte ich noch gar nicht. Das gibt es echt schon seit 24.10. 2014 in dieser Form?

lg Lina
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Re: Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Beitrag von Murmeline »

Die erste Fassung mit Hinweis auf Abhängigkeitspotential gab es 2007.
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Re: Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Beitrag von LinLina »

Echt verrückt. Weißt du etwas über die Rezeption des A-t bei Ärzten? Wie viele es abonniert haben und lesen? Ich würde es als Ärztin sofort abonnieren und mir die Inhalte als Anhaltspunkt nehmen. Nicht nur bei Antidepressiva hat es sehr informative und kritisch-sachliche Hinweise zu Medikamenten.

Ich versteh's nicht.

lg Lina
Im Absetzprozess seit 2014: Lorazepam (Benzo) erfolgreich abgesetzt. Mirtazapin aktuell (seit Sommer 2018) 0,005 mg.

Ich bin zur Zeit nicht im Forum aktiv. Bei Fragen und Bitten an das Team an padma, Ululu69 oder murmeline wenden.

Hinweis: Alle meine Aussagen dienen der allgemeinen Information und begründen sich auf Erfahrungswerte - meine eigenen, und die anderer Betroffener - und die wenigen bekannten Studien zur Absetzproblematik. Ich bin weder Ärztin noch Psychologin. Meine Erfahrungen und Tipps sind daher keine medizinische Beratung und können eine solche nicht ersetzen.
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Re: Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Beitrag von Murmeline »

Keine Ahnung. Immerhin gibt es sie schon lange:

Die Jahrespreise fürs Telegramm oder die Datenbank sind auch überschaubar. Man muss es eben kennen/drüber stolpern? und es wollen? Und daran glauben, dass man eben passiv eher an Infos kommt, die gefärbter sind?

Immerhin gibt es sie schon lange, also irgendwer liest es schon :D
Seit 46 Jahren informiert das arznei-telegramm® Ärzte, Apotheker und andere Heilberufe über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln - neutral und unabhängig, ohne Werbung und ausschließlich durch Abonnements finanziert.
http://www.arznei-telegramm.de/01index.php3
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Re: Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Beitrag von LinLina »

Dennoch scheint es ja nicht eine sooo wichtige Informationsquelle für die meisten Ärzte zu sein, sonst würden wir ja andere Erfahrungen machen.

Aber wer ist denn so naiv und denkt, dass Infos, die durch Pharmawerbung gesponsort werden und durch PharmareferentInnnen verbreitet werden, objektiv und nicht beeinflusst sind, und nutzt dann diese Info's um über die Gesundheit von Patienten zu entscheiden - ok, ich glaube ich setze da was falsches voraus, das ist einfach meist die Realität, das nicht hinterfragen.

Eigentlich kenne ich es ja selbst von meiner Fachrichtung, dass vieles nicht hinterfragt wird, und dass das nicht unbedingt mit Intelligenz oder Ausbildung zu tun hat - im Gegenteil, man bekommt leicht einen fachlichen Tunnelblick.

lg Lina
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Re: Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Beitrag von Murmeline »

Ich glaube, Quellenkritik ist eher was aus einem geisteswissenscgaftlichem Studium. Medizin ist eher Auswendiglernen?
ich könnte mir vorstellen, dass so etwas auch einen Tunnelblick fördert.
Und sich abends hinsetzen und weiter selbst informieren unbezahlt, das macht auch nicht jeder.
Ist ja menschlich, auch mal Feierabend haben zu wollen.

Und Forbildungsveranstaltungen mit Credits zum Thema gibt es glaube ich bisher noch nicht :(
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Re: Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Beitrag von LinLina »

Murmeline hat geschrieben:Ich glaube, Quellenkritik ist eher was aus einem geisteswissenschaftlichem Studium. Medizin ist eher Auswendiglernen?
Ich denke das ist allgemein in Naturwissenschaften und auch moderner Medizin so, dass man erstmal davon ausgeht dass die veröffentlichten Studien mit statistisch überprüfbaren Ergebnissen die "Wahrheit" sagen. Man geht glaub ich davon aus, dass wenn alle Kriterien für wissenschaftliches Arbeiten angewendet werden (was bei peer-reviewed Publikationen ja der Fall sein sollte), keine Quellenkritik notwendig ist, weil es ja alles überprüfbare Fakten sind.

So etwas wie Quellenkritik kenne ich aus meinem Studium auch nicht, aber mein Verstand sagt mir dass Industrie-finanzierte Studien ziemlich sicher wenn nicht "gefälscht", aber doch beeinflusst sind, da es viele Möglichkeiten gibt bewusst oder unbewusst das Ergebnis eines Experiments zu beeinflussen. Ich denke schon dass so etwas mal erwähnt wurde, aber so richtig Thema war das selten.

Aber sehen sich viele Mediziner auch weniger als Wissenschaftler oder Heiler, vielleicht eher als "Handwerker", die den Bedürfnissen der Patienten mit erlernten/vorgegebenen Methoden zu begegnen? Viele denken sicher gar nicht darüber nach, vielleicht weil sie einfach kein Bedürfnis haben, es anders zu machen, vielleicht, weil sie es für die beste Art halten, ihre Arbeit zu machen, vielleicht weil es ja auch viel Verantwortung mit sich bringt, es anders zu machen - andere vielleicht weil einfach Zeit und Energie dafür fehlt, und wie du sagst, sie ja auch mal Feierabend machen wollen.

Ich kenne leider keine ÄrztInnen privat, mich würde das sehr interessieren diese Sichtweise, wie sich das anfühlt, auf der "anderen Seite zu sitzen".
Und Forbildungsveranstaltungen mit Credits zum Thema gibt es glaube ich bisher noch nicht :(
Mh, wer würde auch sowas finanzieren?

Nachdenkliche Grüße, Lina
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Re: Bewertung von SSRI durch das arznei-telegramm

Beitrag von Murmeline »

Liebe LinLina,

nur mal kurz, den Satz gab es schon 1998 :shock:
In Internetbeiträgen fällt ein weiterer in der medizinischen Literatur zu SSRI wenig beachteter Aspekt auf: die Toleranzentwicklung. Die Wirksamkeit lässt nach, was mit Dosissteigerung, Präparatewechsel ("SSRI-Karussell") oder Kombination verschiedener Wirkstoffe beantwortet wird.
http://www.arznei-telegramm.de/html/199 ... 14_01.html

und so was
Während Entzugsbeschwerden besonders nach Absetzen des rasch eliminierten Paroxetin (SEROXAT, TAGONIS) inzwischen allgemein anerkannt sind, kommt die Frage einer möglichen Abhängigkeit nicht in den Blick. Ihr Ausmaß lässt sich erst dann einschätzen, wenn man weiß, wie viele Patienten die Mittel absetzen wollen, aber nicht können. Systematische Untersuchungen zu Langzeitanwendern fehlen. Etwa 30% nehmen Fluoxetin und Paroxetin länger als ein halbes Jahr ein. Solange man vermeintlich ein chronisches Leiden wirksam behandelt oder Rückfällen vorbeugt, müssen diese Zahlen nicht alarmieren. In Diskussionsrunden im Internet sprechen Betroffene ihren Verdacht auf Abhängigkeit dagegen klar aus.

Während die Verordnungszahlen für Tranquilizer zurückgehen, werden Antidepressiva zunehmend häufiger verordnet - zwischen 1990 und 1995 hierzulande mit einem Zuwachs von mehr als 60%. Bilden Antidepressiva, insbesondere SSRI, ein neues Glied in der Kette ärztlich verordneter Suchtdrogen - darunter Appetithemmer, Barbiturate und Benzodiazepine?
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