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brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

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Jodie13
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brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

Hallo,

im Folgenden werde ich nach und nach die Übersetzung eines Threads von brassmonkey, mit dessen Einwilligung, aus dem Forum surviving antidepressants posten. Wie beim Original werde ich jeden Abschnitt als Antwort auf den ursprünglichen Post hinzufügen. Ausnahmsweise Ergänzungen oder Auslassungen durch mich sind mit eckigen Klammern [ ] gekennzeichnet.

Hier der Link zum Original-Thread:
Are we there yet? How long is withdrawal going to take?
https://www.survivingantidepressants.or ... g-to-take/

LG Jodie


Wichtiger Hinweis: Brassmonkey bezieht sich auf seine Erfahrungen von Betroffenen im Langzeitentzug. Speziell für diese Personengruppe kann dieser Text sehr hilfreich sein. Es gibt jedoch glücklicherweise auch deutlich leichtere Verläufe. Wie lange ein Entzug dauert, kann man nicht vorab wissen. Wenn du noch ganz am Anfang des Entzugs stehst, könnte dich dieser Text entmutigen. Wenn du dich aktuell leicht entmutigen lässt, dann lies diesen Text besser nicht bis du dich stabiler fühlst.


(1) Wie lange wird der Entzug dauern?
(2) Wie lange, die Quintessenz
(3) Indirekte Faktoren, die ein Antidepressiva-Entzugssysdrom beeinflussen
(4) Ist es wirklich der Entzug?
(5) Stabilisierung
(6) Aber ich habe es doch nur eine Woche lang genommen
(7) Tachyphylaxie, auch liebevoll „Poopout“ genannt
(8) Kaltentzug und schnelles Absetzen
(9) Wiedereindosierung
(10) Wechselwirkungen zwischen Medikamenten
(11) Entzug-Normal
(12) Es ist bei „0“ noch nicht zu Ende
(13) Was man unterwegs tun kann
(14) Also, wann sind wir da?



(1) Wie lange wird der Entzug dauern?

Eine der am meisten gestellten Fragen auf survivingantidepressants ist irgendeine Form von "Wie lange werde ich mich so fühlen?" Die einfache Antwort ist "Wir wissen es nicht". Ich könnte es dabei belassen und es mir sparen, den Rest zu schreiben, aber das werde ich nicht tun. Es ist eine viel zu wichtige Frage, um sie einfach so abzutun. Für viele kann der Entzug ein Prozess sein, der das Leben komplett unterbricht, intensive emotionale Störungen und starke körperliche Symptome erzeugt, und wir alle wollen, dass es sofort aufhört.

Bevor wir zu weit vorgreifen, gibt es ein paar Dinge, die ich über diesen Text sagen muss. Viele von euch werden ihn sehr verstörend und triggernd finden und nicht das lesen, was sie hören wollen. Die Informationen, die ich hier bereitstelle, sind was ich aus meinen Erfahrungen damit gesammelt habe, als ich mehreren tausend Menschen half, diese Medikamente aus ihrem Leben zu verbannen. Bis heute gibt es keine wissenschaftliche Studien dazu, nur Daten, die aus Foren wie survivingantidepressants.org und paxilprogress.com gesammelt wurden. Ich präsentiere diese, damit die Leute wissen, womit sie es zu tun haben, und wie viele von uns festgestellt haben kann der Entzug von psychiatrischen Medikamenten brutal sein.

Ein Verständnis von der Zeit, die es braucht, um von psychiatrischen Medikamenten abzudosieren, zu entziehen und zu heilen ist sehr wichtig für die Genesung. Die Tatsache dass man weiß, dass ein Ende sichtbar ist, macht es etwas einfacher auszuhalten. Es hilft auch dabei, Pläne für das eigene Leben und die Beziehungen zu machen, während man unterwegs seinen Fortschritt festhält.

Einen wichtigen Punkt sollte man während dem ganzen Prozess im Kopf behalten:

Heilung passiert die ganze Zeit.

Sogar wenn du es noch nicht spüren kannst, von der allerersten Dosisreduktion an, ordnet sich der Körper neu, passt sich an, verknüpft neuronale Bahnen wieder. Es gibt für den Körper sehr viel Arbeit zu tun, daher wird es zunächst so erscheinen, dass die Situation schlechter statt besser wird. Dies ist alles Teil des Heilungsprozesses, der jede Minute des Tages stattfindet.

Wir weisen oft darauf hin, dass die individuelle Entzugserfahrung einzigartig sein wird, und das ist sie auch. Das macht es sehr schwer vorherzusagen, wie lange ein Einzelner einen bestimmten Komplex von Symptomen erleben wird. Daher werde ich in dieser Abhandlung sehr allgemein sprechen müssen. Auch wenn ich sagen werde, dass viele Dinge ein Minimum von soundoso vielen Wochen oder Monaten brauchen werden, sind diese Zahlen nur genau das, ein Minimum. Viele, viele Menschen werden sich am oberen Ende dieser Aussagen bewegen und nicht wenige werden noch länger brauchen.

Wir haben immer wieder Leute die denken "ich bin ein spezieller Fall, ich kann schneller vorgehen". Aus schmerzlicher Erfahrung kann ich nur ehrlich sagen "da liegst du falsch". Zu versuchen, die Dinge zu beschleunigen ist der sicherste Weg, dafür zu sorgen dass es noch länger dauert, und diese lange Zeit wird sehr unangenehm sein. Wenn du einen Kaltentzug hinter dir hast oder sehr schnell reduziert hast, wird es sehr lange dauern, sich zu stabilisieren, und noch länger, um abzusetzen. Die gute Nachricht ist, wenn man sich genug Zeit nimmt, funktioniert es.

Ich werde diese Abhandlung in mehrere Abschnitte unterteilen, damit sie leichter zugänglich und weniger überwältigend ist.
Jeder Post wird sich mit einem anderen Aspekt des Entzugssprozesses beschäftigen und seinem Effekt auf der benötigten Gesamtzeit. [Dank an das SA Moderationsteam]
Zuletzt geändert von Straycat am 14.01.2020 21:25, insgesamt 5-mal geändert.
Grund: 2 Hinweise eingefügt, Übersicht über die einzelnen Themen eingefügt, Übersicht ergänzt
Jodie13
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Re: Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(2) Wie lange, die Quintessenz

Also, wie lange wird es dauern? Ich werde euch nicht lange zappeln lassen sondern gleich zum Punkt kommen. Für die meisten Menschen werden der Entzug und die Genesung sehr lange dauern. Eine nette, vage Aussage die versichert dass alles in ein paar Monaten vorbei ist, wäre weit weg von der Wahrheit. Aufgrund der Natur dessen, was psychiatrische Medikamente mit dem Körper anstellen, müssen sie langsam und vorsichtig reduziert werden, um dem Körper viel Zeit zu geben, sich an jede kleine Änderung anzupassen. Diesen Prozess misst man nicht in Wochen und Monaten, sondern eher in Jahren.

Jede kleine Anpassung, die Teil von Reduktion, Entzug und Genesung ist, benötigt viele Wochen der Stabilisierung. Aufgrund der bloßen Anzahl der kleinen Anpassungen summiert sich das schnell. Diese Situation entsteht durch die Tatsache, dass wenn der Prozess nicht sehr langsam vorgenommen wird, die darunterliegenden Symptome keine Zeit haben, um nachzulassen. Sie summieren sich auf und werden größer, bis der Körper sie nicht mehr zurückhalten kann und sie in Form eines Zusammenbruchs herausbrechen. Diese Zusammenbrüche sind für den Körper sehr destabilisierend, benötigen einen sehr vorsichtigen Umgang und noch mehr Zeit, um sie zu kontrollieren.

Ein Grund, warum es so lange dauert, ist simple Mathematik. Wenn man es zusammenrechnet, dauert ein Absetzprozess von 10% alle 6 Wochen, der bei 40mg beginnt und bei dem momentan akzeptierten kompletten Absetzpunkt von 0,016mgai [=milligram active ingredient, dt. Milligramm aktiver Inhaltsstoff] endet, 5 ½ Jahre. Schon selbst erlebt und gemacht, und es hat sehr gut funktioniert. Dabei ist zu beachten dass dabei noch keine zusätzlichen Absetzpausen mit einberechnet sind, wie z.B. bei Wechsel des Herstellers, Umstellung von Tabletten auf flüssige Lösungen, Stabilisierung nach Krankheit oder Urlaub oder irgend ein anderer Grund für eine Verzögerung. Es gibt einige ausgezeichnete Tabellen und Rechner [auf der Seite survivingantidepressants] die helfen können festzustellen, wie lange ein einfaches, langsamen Absetzen dauern wird.

Eine einfache Art, dies zu betrachten ist, dass die „Halbwertszeit“ eines Absetzprozesses, bei dem alle 4 Wochen 10% der aktuellen Dosis reduziert werden, 6 Monate beträgt. Wenn man also bei 40mg das Absetzen beginnt, würde man, wenn alles gut läuft, nach 6 Monaten 20mg nehmen. Nach weiteren 6 Monaten, 1 Jahr insgesamt, ist man bei 10mg. Nach 1 ½ Jahren ist man bei 5mg und so weiter. Der frustrierende Teil wird in den späteren Jahren auf einen zukommen, wenn die Reduktionsschritte so klein sind dass es so scheint, als würde man überhaupt keine Fortschritte machen.

Wenn alles glatt läuft wird sich eine Dosisänderung von 10% innerhalb eines Minimums von 4 bis 6 Wochen auswirken und stabilisieren. Aber eine Dosisänderung ist nicht nur, die eingenommene Menge zu ändern. Es kann auch der Wechsel des Herstellers sein, der Wechsel vom Originalmedikament auf ein Generikum, Wechsel von Tablette zu flüssiger Lösung oder von flüssiger Lösung zu Tablette. Oder auch den Einnahmezeitpunkt am Tag zu verändern oder die Dosis auf mehrere Einnahmen am Tag aufzuteilen. Jedes dieser „Änderungs-Ereignisse“ braucht Zeit, bis sich die Auswirkung zeigt und noch mehr Zeit für Stabilisierung.
Jodie13
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(3) Indirekte Faktoren, die ein Antidepressiva-Entzugssysdrom beeinflussen

Es gibt eine Reihe von anderen Faktoren, die eine Rolle dabei spielen, wie lange der Entzug dauern wird. Psychiatrische Medikamente abzusetzen ist ein sehr komplexer Prozess, bei dem jedes Teil eine direkte Wirkung auf alle anderen hat. Verschiedene Faktoren, wie z.B. die Frage wie lange jemand die Medikamente genommen hat, wie viele Medikamente derjenige nimmt, wie alt er war, als er damit angefangen hat und wie alt er jetzt ist, ein gewisser Reifegrad und wie oft er oder sie bereits in der Vergangenheit etwas an der Medikation verändert hat oder versucht hat, abzusetzen, sind alles wesentliche Teile dieser Gleichung.

In den letzten Jahren hat sich ein verstörender Trend abgezeichnet, dass Ärzte viele verschiedene Medikamente gleichzeitig verschreiben. Der Gedanke dabei ist, ein Hauptmedikament zu geben um „die Krankheit zu behandeln“ und dann diverse weitere Medikamente, um die Nebenwirkungen weniger schwerwiegend zu machen. Tatsächlich macht das die Sache nur verworrener und den Patienten noch unglücklicher. Es verlängert zudem die Entzugsdauer um den Faktor der Anzahl der Medikamente , denn jedes einzelne muss mit der selben, langsamen Geschwindigkeit abgesetzt werden und sie sollten nicht gleichzeitig reduziert werden. Was ein Absetzprozess von vielleicht 4 Jahren hätte sein können, dauert nun 8 oder möglicherweise 12 Jahre, abhängig von der Anzahl der Medikamente. Das kann ein bisschen irreführend rüber kommen, denn manche Medikamente können schneller abgesetzt werden und manche werden in niedrigeren Dosierungen verschrieben. Dennoch, je mehr Medikamente, desto länger dauert es, von ihnen wegzukommen.

Der tieferliegende Mechanismus nachdem die Genesung funktioniert ist Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Gehirns, sich von traumatischen Verletzungen zu erholen. Ein Antidepressiva-Entzugssyndrom ist ein wenig anders als eine tatsächliche traumatischen Verletzung wie ein Eisennagel im Kopf, aber das Prinzip ist das Gleiche. Obwohl Neuroplastizität das ganze Leben über aktiv ist, hängt es dennoch etwas vom Alter der Person ab. Junge Menschen neigen dazu physisch robuster zu sein, und die notwendigen körperlichen Veränderungen schneller zu zu bewerkstelligen, während etwas ältere Leute etwas langsamer heilen. Das soll nicht heißen, dass ältere Menschen mehr Probleme im Entzug haben werden, nur dass sie eben noch gewissenhafter beim Absetzen sein müssen.

Wann jemand damit angefangen hat, die Medikamente zu nehmen, ist auch ein Faktor. Dem ganzen liegt wiederum Neuroplastizität zugrunde. Das Gehirn und das Nervensystem einer Person werden nicht als „reif“ im körperlichen Sinne angesehen, bis jemand etwa 25 Jahre alt ist. Bis dahin ist es ein sich entwickelnder Organismus und in einem Zustand ständiger Veränderung. Während dieser Jahre lernt man auch die Grundlagen von Sozialisation, Beziehungen und baut sein grundlegendes Glaubens-/Wertesystem auf. Diese gesamte Entwicklung wird durch ein frühen Beginn mit Antidepressiva nicht negiert, jedoch stark verlangsamt oder pausiert, biss der Einfluss der Medikamente entfernt wurde. Dies wird von vielen als Rückschlag angesehen, dennoch gab es jedoch sehr viel unterschwelliges Wachstum in der Zwischenzeit , das die Basis für die persönliche Entwicklung danach darstellt.

Für Menschen mit mehr Lebenserfahrung ist der Einfluss auf die Psyche nicht so grundlegend. Es ist mehr ein Gefühl von Stagnation und Verlust des eigenen Platzes in der Welt. Dennoch sind die darunterliegenden Gefühle und Wertvorstellungen noch vorhanden, nur nicht zugänglich, und werden wieder auftauchen wenn der Einfluss der Medikamente entfernt wurde.

Interessanterweise überstehen diejenigen mit mehr Lebenserfahrungen den Entzug tendenziell besser . Viele von Ihnen können sich klarmachen, dass der Entzug nur eine weitere Herausforderung ist und, auch wenn es ein langer ist, nur ein weiterer Umweg auf der Straße des Lebens. Die Erkenntnis, dass die Dinge irgendwann wieder „normal“ werden hilft sehr dabei, die Wogen zu glätten.

Zu Beginn des Postings habe ich erwähnt, dass manchmal viele verschiedene Medikamente verschrieben werden . Dies ist aus einem weiteren Grund ein wichtiger Faktor. Die Medikamente, die oft zusammen verschrieben werden, harmonisieren oft nicht gut miteinander und eins oder mehrere wird von dem Patienten nicht gut vertragen.
Dies führt zu Medikamentenwechseln um den Medikamentencocktail „zu justieren“. Diese Wechsel werden oft vorgenommen, in dem ein Medikament einfach abgesetzt und ein anderes angesetzt wird. Dies verursacht Entzugssymptome eines Kaltentzugs zum einem und Nebenwirkungen zu Einnahmebeginn zum zweiten, womit umgegangen werden muss. Es sensibilisiert den Körper außerdem. Die ersten paar Wechsel können schmerzfrei bleiben, aber an irgendeinem Punkt wird sich alles aufsummieren und der Körper wird „genug jetzt“ rufen. Der Körper ist jetzt für die Veränderungen sensibilisiert und jede Änderung der Dosis wird ein Kampf werden. Die einzige Lösung dafür ist, extrem langsam vorzugehen, winzige Reduktionen vorzunehmen und während den Absetzschritten noch länger zu warten.

Uns allen wird von der Kindheit an gesagt, dass wir der „Herr im Hause“ sind und wir „unser Leben unter Kontrolle bringen sollen“ und dass „es nur an uns liegt“. Die meisten von uns haben diese Lektionen zu gut gelernt, und wenn wir dann damit konfrontiert werden, dass wir die Kontrolle über unser Leben verlieren, fällt es uns sehr schwer, mit der Situation umzugehen. Von der allerersten Tablette an hat, solange nur ein wenig von einem Medikament in unserem System ist, dieses die Kontrolle.

Dieser Kontrollverlust kann sehr erschütternd sein und kann sehr viel Besorgnis und Angst hervorrufen. Beides dient jedoch nur dazu, die Situation zu erschweren und die Dinge noch schlimmer zu machen. Nicht nur dass es selbst auferlegte Angst und Besorgnis sind, aber es gibt ein Element von Neuro-Angst das direkt von den Medikamenten verursacht wird. Neuro-Angst ist noch etwas, über das wir keine Kontrolle haben was dazu führt, dass man sich immer mehr hineindreht.

Ein bisschen Kontrolle über unsere Emotionen haben wir noch, und zwar in der Form, dass wir die Situation akzeptieren können. Auch wenn es so scheint, dass es ewig dauert, ist der Entzug nur ein kurzer Abschnitt in unserem Leben und wenn er vorbei ist können wir wieder zurückkehren zu den Dingen, die wir lieben. Bis dann sind wir da, wo wir eben sind, und es gibt nicht viel was wir tun können, um das zu ändern, also müssen wir die Situation akzeptieren und die kleinen Dinge genießen, so gut es eben geht.

Dies sind nur ein paar der Faktoren die die Zeit beeinflussen die es braucht, um diese Medikamente abzusetzen. Sie sind alle miteinander verbunden und jedes davon kann die Zeit verlängern, die Entzug / Genesung brauchen.
Jodie13
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(4) Ist es wirklich der Entzug?

Uns erreichen immer wieder Kommentare wie „Ich setze seit 6 Monaten ab und ich habe immer noch Symptome“ oder „Ich habe über einen Zeitraum von 3 Monaten abgesetzt und bin seit 6 Monaten ohne Medikamente, warum fühle ich mich immer noch so schlecht?“. Die einfache Antwort ist, weil du immer noch im Entzug bist. Es ist wichtig zu wissen, dass diese „generellen Regeln“, über die ich rede, nicht allgemeingültig sind, und dass wenn man an der Art von Symptomen leidet, die typisch für den Entzug sind, und man dabei ist Medikamente zu reduzieren oder sie bereits reduziert hat (oder vielleicht eine Toleranz entwickelt hat), und keine körperliche Erkrankung gefunden werden kann, der die Symptome zugeschrieben werden können, dann ist man im Entzug.

Für diese Abhandlung definiere ich Entzug als „das Erleben von irgendeinem oder allen Symptomen, die mit der Reduktion oder Toleranzentwicklung von psychiatrischen Medikamenten assoziiert werden.“ Es gibt eine lange Liste von Entzugssymptomen an anderer Stelle auf dieser Seite [sowohl auf surviving antidepressants als auch hier im ADFD] die man sich anschauen kann. Darüber hinaus entdecken wir immer wieder neue Symptome, die noch nicht auf der Liste stehen. Das bedeutet nicht dass das, was du fühlst zu 100% der Entzug ist, aber sehr wahrscheinlich ist es das. Trotzdem, wenn jemand zum Beispiel Schmerzen in der Brust hat, sollte er sich untersuchen lassen. Wir wollen nicht, das jemand einen Herzinfarkt bekommt. Aber sobald diese Symptome untersucht wurden und einem ein guter Gesundheitszustand bescheinigt wurde, kann man es den Medikamenten zuschreiben.

Solange diese Medikamente im Körper sind werden sie beeinflussen, wie man sich fühlt. Sogar diese winzige Dosis am Ende des Absetzens verändert immer noch die Körperchemie und die physische Zusammensetzung des Körpers. Es gibt hier einige Beiträge, die davon berichten, wie Mitglieder jeden einzelnen Absetzschritt bis zu und einschließlich dem letzten Sprung auf „0“ fühlen. So lange du also irgendeine Menge des Medikament nimmst, wirst du vermutlich irgendwelche Arten von Symptomen spüren. Zusätzlich wirst du, wenn du mehrere Medikamente nimmst, die Auswirkungen derjenigen, die du gerade nicht absetzt, spüren, während du ein anderes absetzt.

Der Begriff Halbwertszeit wird hier bei SA [=surviving antidepressants] oft verwendet. Das bezeichnet die Länge der Zeit die es braucht, bis der Körper die Hälfte der Dosis der gegenwärtigen Medikation aufgebraucht hat. Also, der Körper verbraucht die Hälfte der ursprüngliche Dosis, dann die Hälfte davon, dann die Hälfte davon, und so weiter. Jedes Medikament ist anders, und es gibt Halbwertszeiten in einer Spanne von 1 ½ Stunden bis über 200 Stunden. Wie der Körper eines einzelnen auf das Medikament reagiert macht auch noch einen Unterschied und kann diesen Zeitraum doch um einiges verlängern oder verkürzen. Das bedeutet, dass einen das Medikament sogar nach dem Absetzen in manchen Fällen noch viele Wochen beeinflussen kann.

Die Erwartung einer schnellen Genesung ist eine Hauptursache für Frustrationen. Für die meisten Menschen ist es relativ leicht, mit psychiatrischen Medikamenten anzufangen. Manche spüren gar nichts, während andere ein paar Wochen unter leichtem Unwohlsein leiden, und dann ist alles gut. Ich spreche jetzt nicht von den Unglücklichen, die eine sofortige Unverträglichkeitsreaktion haben, das ist nochmal eine ganz andere Geschichte. Wegen dieses einfachen Einstiegs haben diese Menschen die Vorstellung, dass es genauso einfach sein wird, aufzuhören. Die Mediziner helfen nicht gerade dabei, indem sie uns sagen, dass die Medikamente nicht abhängig machen und man „jederzeit aufhören“ kann. Dies ist weit weg von der Wahrheit.

Diese Medikamente sind nicht wie schnell wirksame, frei verkäufliche Schmerzmittel sondern wirken vielmehr, indem sie jedes System im Körper physisch verändern. Diese Veränderungen fangen mit der allerersten Dosis an und werden weitergeführt und aufrechterhalten bis weit nach dem Absetzen des Medikaments. Wenn man einmal mit einem Medikament angefangen hat, ist es nur eine Frage von Wochen bis die Veränderungen so gravierend sind, dass die 10%-Absetz-Methode notwendig wird, um das auf sicherem Wege rückgängig zu machen und jede Dosisreduktion wird zu Entzugssymptomen führen.

Im Grunde läuft es darauf hinaus, wenn du dir wirklich Sorgen darüber machst, wie du dich fühlst, lass dich durchchecken. Wenn die Ergebnisse zeigen, dass alles in Ordnung ist „lass es los“, es ist „nur“ der Entzug.
Jodie13
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(5) Stabilisierung

Fangen wir mit einem der grundlegenden Konzepte an, über das wir sehr oft reden. Stabilisierung, oder passenderweise, der Frage wie lange es dauert, sich zu stabilisieren. Das Konzept von Stabilisierung bräuchte eigentlich eine eigene Abhandlung, also werde ich zunächst nur eine grundlegende Definition angeben. Stabil ist ein Zustand, in dem die Symptome Tag für Tag in etwa gleich sind ohne größere Schwankungen nach oben oder unten. Ein etabliertes Muster, das für einen gewissen Zeitraum vorhanden ist. Eine stabile Struktur aufzubauen braucht mindestens einen Monat, vorzugsweise zwei oder drei ohne merkliche Änderung in der Symptomstruktur. Stabil bedeutet nicht die Abwesenheit von Symptomen oder dass man sich gut fühlt.
Stabilisierung ist notwendig, bevor in der Medikation irgendwelche Änderungen vorgenommen werden können, weil Veränderungen das System destabilisieren und einen Anstieg von Symptomen verursachen werden. Wenn ein System von Anfang an nicht stabil ist, verschlimmert die neue Destabilisierung die ursprüngliche Instabilität und macht die Sache noch schlimmer. Es gibt eine Ausnahme, nämlich Tachyphylaxie, auch liebevoll “poopout“ genannt. Dazu kommen wir später. Wenn das System in einem stabilen Zustand ist, kann der Körper die Veränderungen, die notwendig sind, um sich an die neue Situation anzupassen, einfacher machen.

Wenn ein Änderungsereignis stattfindet (alles was die Menge, Art oder den Zeitpunkt der Medikation ändert) müssen mehrere Dinge passieren. Als erstes muss der Spiegel des Medikaments im Blut ein konstantes Gleichgewicht erreichen. Das bedeutet dass jederzeit eine bestimmte Menge des Medikaments im Blut ist. Wissenschaftliche medizinische Untersuchungen haben gezeigt, dass dies mindestens 4 Tage dauert und manchmal bis zu einer Woche braucht. Dies beinhaltet Verstoffwechlungsraten, Halbwertszeiten und eine Reihe weiterer Variablen. Also so aus dem Stegreif, jedes mal wenn wir etwas verändern, gibt es eine Wartezeit von 4 bis 7 Tagen.

Sobald das Medikament in einem konstanten Gleichgewicht im Blut ist, kann der Köper anfangen, sich an die Änderung anzupassen. Die anfängliche Reaktion des Körpers wird sein, dass er zunächst verwirrt ist. Er hat gut so funktioniert, wie es war, und nun ist alles durcheinander. Diese Verwirrung manifestiert sich in der Form von Symptomen und ist ein Zeichen dafür, dass das System destabilisiert wurde. Es gibt jedoch immer wieder einen Placebo Effekt Zeitraum direkt nach der Dosisänderung, währenddessen der Körper die Veränderung entweder nicht bemerkt oder sich deswegen sogar besser fühlt. Dieser Placebo Effekt Zeitraum hält nicht lange an und die Symptome werden sich mehrere Tage nach der Änderung manifestieren. Viele Leute berichten, dass sich ihre Symptome 2 bis 5 Tage nach einer Änderung verstärken, aber es ist auch nicht ungewöhnlich, dass es mehrere Wochen dauert, bis sie auftauchen.

Diese zeitliche Verzögerung bezeichnet man auch als “Flitterwochen“. Wie erwähnt kann es bei einer Dosisänderung zwischen ein paar Tagen bis mehrere Wochen andauern. Im Falle eines Kaltentzugs oder sehr schnellen Absetzens kann der Zeitraum
verwirrend lang sein. Häufig in der Spanne von 3 bis 4 Monaten und manchmal bis zu einem Jahr oder länger.
Worauf dann ein dramatischer Zusammenbruch mit Destabilisierung folgt.

Sobald die neuen Symptome aufgetreten sind, werden sie anfangen, sich zu stabilisieren. Bei der kontrollierten 10%-Absetzmethode dauert es in der Regel 4 bis 6 Wochen, bis sich das System wieder stabilisiert. Es ist jedoch auch nicht ungewöhnlich, dass Leute nach so einem Schritt 2 bis 3 Monate Stabilisierung brauchen. Manche Menschen brauchen noch länger. Wenn das auftritt, ist es am besten beim nächsten Mal einen kleineren Absetzschritt zu versuchen um das Ausmaß an Destabilisierung zu senken. Absetzschritte von mehr als 10% verursachen viel mehr Chaos und erhöhen die Zeit, die es braucht, um sich wieder zu stabilisieren.
Jodie13
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(6) Aber ich habe es doch nur eine Woche lang genommen

Einige der Mitglieder hier, die am meisten zu bedauern sind, sind diejenigen, die ein Medikament nur für einen kurzen Zeitraum genommen haben und eine Unverträglichkeitsreaktion hatten. Über die Jahre habe ich einige neue Mitglieder gesehen, die ihr Medikament zwischen einem Tag bis zu einer Woche genommen haben und dann aufgehört haben. Dennoch leiden sie an sehr akuten Symptomen. Das ist eine Unverträglichkeitsreaktion, akute Symptome die sofort eintreten und sehr schwerwiegend sind. Die chemische Zusammensetzung mancher Menschen verträgt sich einfach nicht mit psychiatrischen Medikamenten, und der Körper versucht sofort, sie abzustoßen, stürzt sich dabei aber selbst ins Chaos.

Die gute Nachricht ist, dass der Körper sich wieder selbst in Ordnung bringen wird und zur Normalität zurückkehrt. Die schlechte Nachricht ist, dass es lange dauern wird und es nichts gibt, was den Prozess beschleunigt. Es gib einige Bewältigungsstrategien und Hilfsmittel, die dabei helfen, die Erfahrung etwas leichter zu machen, aber Zeit ist das einzige, was Heilung verschafft. Aktuell gehen wir von einem Minimum von 18 Monaten aus, eher jedoch von 2 bis 3 Jahren bis zu einer vollständigen Genesung*.

*Anmerkung des ADFD: Wir im ADFD lehnen Zeitangaben überwiegend ab, weil sie unserer Erfahrung nach entweder falsche Hoffnungen verbreiten oder Panik auslösen.
Ein Nachentzug / die Phase der Genesung dauert so lange, wie sie eben dauert.
Das kann beim einen einige Monate sein und beim anderen viele viele Jahre.
Leider wissen wir nicht, wer wie lange davon betroffen ist.


Das mag sich vielleicht sehr düster anhören, aber es wird nicht alles aus Schmerz und Leiden bestehen. Diese Menschen haben tendenziell einen etwas geradlinigeren Genesungsprozess. Die ersten paar Monate werden akut sein. Dann fangen die Dinge an, sich merklich zu verbessern, das eigentliche Leben kann wieder aufgenommen werden. Alle Mitglieder, die ich kennengelernt habe, sind vollständig genesen. Im Anschluss konnten sie ihren Uni-Abschluss machen, sogar Medizin studieren und erfolgreiche Karrieren in unterschiedlichsten Gebieten beginnen.

Eine Variation dieser Thematik findet sich bei denjenigen, die ihr Medikament für ein oder zwei Monate genommen haben. Diejenigen hatten zwar keine sofortige Unverträglichkeitsreaktion, aber dennoch vertragen sie das Medikament nicht gut und sie entscheiden sich, das Medikament nicht weiter zu nehmen, wegen dem, wie sie sich damit fühlen. Weil sie nur kurz auf dem Medikament waren und Ärzte das so empfehlen hören sie per Kaltentzug auf. Nach den “Flitterwochen“ führt das zu einem Entzug und typischerweise folgt dann das ganze Hin- und Her von Arztbesuchen und neuen Medikamenten. Aber das ist nochmal ein anderes Thema.

Psychiatrische Medikamente wirken, indem sie physische Veränderungen im Körper hervorrufen, die jedes System und jede Zelle betreffen. Diese Veränderungen finden von der ersten Dosis an statt und am Ende des ersten Monats waren sie damit schon sehr erfolgreich. Am Ende des zweiten Monats sind die Veränderungen bedeutsam. Letzten Endes ist somit sogar nach nur 2 Monaten ein anständiges, langsames Absetzen mit der 10%-Methode notwendig. Ja, das bedeutet, dass man mehrere Jahre länger auf dem Medikament sein wird, als man es ursprünglich eingenommen hat. Aber diese Veränderungen, die sehr schnell passieren, brauchen sehr viel Zeit um rückgängig gemacht zu werden, ohne dass Entzugssymptome auftreten.

Für diejenigen die sich an der Grenze von einem Monat befinden ist es manchmal möglich, schneller abzusetzen, innerhalb von ein paar Monaten. Das ist jedoch eine sehr strittige Aussage, manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Wenn es nicht funktioniert wird es einige Monate dauern, bis man es herausfindet, viele Monate um sich nach Aufdosieren / Wiedereindosieren zu stabilisieren und dann folgt der lange, langsame 10%-Absetzprozess.
Zuletzt geändert von Straycat am 10.09.2020 11:45, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Formatierung nach Forenupdate wieder hergestellt
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

[Vorbemerkung: mir fällt für den Begriff „Poopout“ keine passende Übersetzung ein, daher, im Original belassen; wenn jemandem etwas passendes einfällt schreibt es mir gerne! Gemeint ist damit in etwa, eine Art Toleranzentwicklung, die zu Entzugssymptomen führt, während man das Medikament noch einnimmt. Generell fand ich diesen Textteil den schwierigsten vom Verständnis her und falls jemand nochmal drüber gucken will, gerne!]

(7) Tachyphylaxie, auch liebevoll „Poopout“ genannt

Auch wenn akuter Entzug und „Poopout“ miteinander verwandt sind, sind sie nicht das Gleiche. Der akute Entzug ist eine schwere Form von Entzugssymptomen, während beim „Poopout“ der Körper die Wirkung des Medikaments toleriert, versucht, drumherum zu arbeiten und so Entzugssymptome erzeugt werden. Umso stärker der Körper die Medikamente abstößt, desto schwerer sind die Symptome.

Das alles kommt daher, dass der Körper ein sich selbst korrigierender homoöstatischer Organismus ist. Er ist dazu gemacht, mit einem bestimmten Gleichgewicht an Neurotransmittern zu arbeiten und wird alles in seiner Macht stehende tun, um dieses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Wenn man ein Antidepressivum nimmt, führt das dazu dass die Rezeptoren für einen bestimmte Neurotransmitter aufhören zu arbeiten, was den Körper mit diesem Neurotransmitter überflutet, und angeblich fühlen wir uns wegen dieses Überschusses dann besser. Nach einiger Zeit findet der Körper Wege, darum herum zu arbeiten und strebt danach, wieder Homöostase zu erreichen. Wenn der daraus folgende Kampf um Kontrolle akut wird nennt man das Tachyphylaxie oder Poopout. Um dies zu „heilen“ braucht es einen klaren Gewinner, so dass nur zwei Optionen bleiben. Aufdosieren oder Reduzieren.

Sobald der Poopout eingesetzt hat wird er, egal was passiert, nur schlimmer werden. Aufdosieren würde nur etwas Zeit bringen. Durch Aufdosieren wird das Medikament zum Gewinner erklärt, die Symptome nehmen etwas ab, und man macht weiter, aber der Körper kämpft weiterhin. Das kann von einigen Monaten bis zu etwa einem Jahr dauern, aber am Ende wird es wieder bergab gehen und derjenige wird sich in der selben oder einer noch schlimmeren Situation wiederfinden, mit einer höheren Dosis, die einen noch längeren Absetzprozess benötigen würde. Während dem Poopout länger auf der Dosis zu bleiben würde den Kampf nur verlängern und kann die Sache auch schlechter machen, während der Körper um Kontrolle kämpft.

Wenn es um Poopout geht, führt der einzige Weg heraus nach unten. Wenn man absetzt, wird der Körper zum Sieger erklärt, Reparaturarbeiten am Körper beginnen und die Symptome lassen nach. ABER, es dauert sehr lange, die körperlichen Veränderungen, die das Medikament hervorgerufen hat, rückgängig zu machen, und die Anwesenheit des Medikaments ist notwendig um die Veränderungen aufrechtzuerhalten während die Änderungen repariert werden. Daraus wird ein langer, langsamer Absetzprozess erforderlich.

Aus einem Poopout heraus abzusetzen ist ein sehr frustrierender Prozess, da für eine ziemlich lange Zeit keine Ergebnisse sichtbar werden. Es gibt nicht sehr viele Informationenen, was die Zeiträume betrifft, weil Poopout kein besonders gut dokumentiertes Phänomen ist. Viele Leute wissen gar nicht, dass sie betroffen sind, und noch weniger wie man damit umgehen muss. Nach meinen Informationen braucht es 18 Monate bis 2 Jahre, bis sich eine Stabilisierung zeigt. Es braucht dann weitere 18 Monate bis Verbesserungen ohne weiteres offensichtlich sind. Sobald Verbesserungen aufgetreten sind, werden sie sporadisch mehr werden und müssen beobachtet werden, indem man sich auf den Normalzustand im eigenen Entzug bezieht.

Tachyphylaxie bei Antidepressiva ist ein ähnliches Konzept wie der „Toleranzentzug“ bei Benzos. Aufgrund der Art der Wirkungsweise der zwei Wirkstoffgruppen zeigt es sich etwas anders, aber der Mechanismus ist dennoch der gleiche. Wenn jemand Medikamente aus beiden Wirkstoffgruppen nimmt wird die Situation dadurch komplizierter, dass die Wirkung des einen Medikaments die Symptome des anderen verdecken kann. Das macht es sehr schwer, Tachyphylaxie zu entdecken.

Dazu kommt die Tatsache dass Tachyphylaxie mit häufigen Symptomen, wie Burn Out, verwechselt wird.
Jodie13
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(8) Kaltentzug und schnelles Absetzen

Ich werde ganz offen sein. Mach keinen Kaltentzug oder schnelles Absetzen, außer es gibt einen medizinischen Grund wie z.B. eine Schwangerschaft.(Anmerkung von padma: Von einem Kaltentzug während der Schwangerschaft ist abzuraten! Ein Kaltentzug gefährdet sowohl die Schwangere als auch das Ungeborene) Der Schmerz und das Leiden sind es einfach nicht wert, und mit der Zeit wirst du auch so von den Medikamenten runterkommen, und dich viel schneller erholen, wenn du langsam absetzt.

Viele Mitglieder haben angedeutet, dass der Grund für einen Kaltentzug war, dass ihr Arzt ihnen kein Rezept mehr ausstellen will. Es gibt einfach zu viele verfügbare Ressourcen, als dass das ein berechtigter Grund wäre. [Achtung, die folgenden Möglichkeiten beschreiben die Situation in den USA und sind nicht alle übertragbar!] Jeder Arzt kann diese Medikamente verschreiben. Sie sind erhältlich über Notfallpraxen, die Notaufnahme, online Verschreibungsangebote, um nur ein paar verfügbare Quellen zu erwähnen. Manchmal sind sie direkt vom Hersteller erhältlich. Es ist etwas Beinarbeit dabei, aber am besten ist das zu tun was getan werden muss, um den Vorrat aufrechtzuerhalten, damit man die Kontrolle über die eigene Situation behält. Niemand anders wird das für dich tun.

Für diese Erörterung definiere ich einen Kaltentzug als das Absetzen von einem Tag auf den anderen von irgendeiner Dosis aus die größer als 1mg ist. Als schnelles Absetzen definiere ich alles was schneller ist als die empfohlenen 10% alle 4 Wochen. Ich möchte auch darauf hinweisen dass es einen Unterschied zwischen einem schnellen Absetzen über einen Monat und einem schnellen Absetzen über ein Jahr oder länger gibt. Beide habe dieselbe Wirkung auf den Körper, nur zu einem unterschiedlichen Ausmaß. Sowohl der Kaltentzug als auch das schnelle Absetzen folgen denselben Mustern, um das Schreiben zu erleichtern werde ich beide zusammen als Kaltentzug bezeichnen.
Es gibt sehr wenig Informationen darüber, wie viele Menschen es schaffen einen Kaltentzug erfolgreich zu bewältigen. Was andeuten könnte dass es nicht vielen gelingt. Es gibt jedoch sehr viel Gespräche darüber dass fast jeder, der kalt absetzt oder sehr schnell absetzt, am Ende nach einigen Monaten wieder irgendeine Form von psychiatrische Medikamenten einnimmt, wegen der Rückkehr „ihrer Grunderkrankung“.

Es gibt ein gängiges Muster bei einem Kaltentzug. Jemand hört auf, seine Medikamente zu nehmen und die ersten paar Tage, bis zu einer Woche, hat derjenige ein paar leichte Symptome, Kopfschmerzen, Übelkeit, so in der Art. Diese Symptome lösen sich auf und man fängt an sich so gut zu fühlen wie seit Jahren nicht. Ein Gefühl von „Wow, ich bin das Zeug los und habe nicht so gelitten wie die ganzen anderen Leute“ durchdringt die Gedanken. Es gibt die geringe Möglichkeit, das das tatsächlich passiert ist.

Für die meisten Menschen endet diese Zeit, auch „Flitterwochen“ genannt, abrupt nach 3 Monaten. Es ist erstaunlich, wie oft dieser Zeitraum auftaucht. Für ein paar könnte es kürzer dauern, bei anderen etwas länger, aber am häufigsten ändern sich die Dinge über Nacht an der 3-Monats-Grenze. Die meisten beschreiben es mit „Es ging mir noch gut, als ich ins Bett ging, aber ich bin in der Hölle aufgewacht“, und dort bleiben sie eine sehr lange Zeit.

Psychiatrische Medikamente wirken, indem sie physische Veränderungen im Körper hervorrufen. Der Körper braucht dann die Gegenwart der Medikamente um diese Veränderungen aufrechtzuerhalten und weiter zu funktionieren. Wenn man das Medikament entfernt weiß der Körper nicht mehr, wie er arbeiten soll. Er fängt dann an damit zu ringen um sich selbst in seinen normalen Zustand vor den Medikamenten zurückzuversetzen. Während das passiert kann kein System des Körpers normal funktionieren und man bekommt Entzugssymptome. Weil der Körper in einem derartigen Chaos ist wird der Zustand sehr akut sein.

Weil der Körper sich in einem derart chaotischen Zustand befindet werden diese Symptome sehr lange anhalten. Allein im Nervensystem gibt es hunderte Milliarden von Verbindungen die überprüft und repariert werden müssen. Dazu kommt noch das endokrine System, hormonelle Wechselwirkungen und viele weitere Dinge, der Körper weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Über viele Monate macht der Körper Inventur und fängt an die Veränderungen durchzuführen, die er für notwendig hält um die Situation zu korrigieren; einige dieser Veränderungen werden jedoch falsch sein und werden überarbeitet und wiederum getestet werden müssen. Daher kommt das bekannte Muster aus „Wellen und Fenstern“.

Wie bei allem anderem im Entzug gibt es keine Statistiken darüber, wie lange die Genesung dauern wird. Aber wir haben sehr viele Fallgeschichten die uns ein bisschen einen Ansatz geben. Die Antwort ist sehr entmutigend. Es wird Jahre dauern. Ich poste ab und zu über ein paar andere Leute, die 40mg Paxil [Paroxetin] zur selben Zeit kalt abgesetzt haben, als ich mit dem Absetzen begonnen habe. Das ist jetzt 6 Jahre her, ich bin von allen Medikamenten runter und lebe zu mehr als 95% ein normales Leben. Die anderen jedoch leiden immer noch unter Wellen, die der anfänglichen akuten Phase Konkurrenz machen. Auf der anderen Seite erleben sie jedoch auch sehr schöne Fenster. Aber sie sind immer noch Tag für Tag am kämpfen. Wenn man sich bei SA einiges durchliest, wird man viele, viele Beispiele finden dass Leute, die kalt abgesetzt haben, 3 bis 5 Jahre später noch zu kämpfen haben. In extremen Fällen gibt es sogar Mitglieder die berichten, dass sie sogar nach 7 oder 8 Jahren noch zu kämpfen haben.

Es gibt starke Hinweise dafür dass PSSD auch mit Kaltentzug verbunden ist. PSSD ist bei vielen Fällen von Entzug verbreitet, aber es scheint bei Menschen, die kalt abgesetzt haben, entgegen die Menschen die langsam abgesetzt haben, ausgeprägter zu sein und schwerer, sich davon zu erholen. PSSD korrigiert in in den meisten Fällen selbst, jedoch gehen wir von einem entmutigend langem Zeitfenster von 2 bis 5 Jahren aus, manchmal auch länger. Es gibt eine Menge von anderen Faktoren, die bei der Genesung von PSSD eine Rolle spielen, und jedes davon kann dazu führen dass sich die Genesungszeit verlängert.

Also, um zum Schluss zu kommen, wiederhole ich nochmal meinen zweiten Satz. Mach keinen Kaltentzug oder schnelles Absetzen, außer es gibt einen medizinischen Grund wie z.B. eine Schwangerschaft. (Amerkung von padma: Bei einer Schwangerschaft raten wir von einem Kaltentzug ab!) Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, die Medikamente wieder zu nehmen, schau bitte in die Threads zum Thema Wiedereindosierung.
Zuletzt geändert von padma am 30.11.2019 14:14, insgesamt 3-mal geändert.
Grund: Anmerkung eingefügt
Jodie13
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(9) Wiedereindosierung

Wiedereindosierung wird von vielen als Allheilmittel für einen Kaltentzug oder ein zu schnelles Absetzen, das schiefgelaufen ist gesehen. SA hat mehrere Threads speziell der Wiedereindosierung gewidmet, daher werde ich bzgl. des wie und warum man es macht, nicht ins Details gehen, sondern stattdessen darüber sprechen, wie lange es dauern wird. Wenn jemand Wiedereindosierung in Erwägung zieht, bedeutet das, dass derjenige schon in einem sehr schlechten Zustand ist. Sein System ist in hohem Maße instabil, Geist und Körper befinden sich im Chaos, die Symptome sind außer Kontrolle. Man will jetzt sofort Erleichterung.

Das ist eine der schlimmsten Situationen, in denen man sich im Entzug befinden kann, und es wird lange dauern da heraus zu kommen. Beginnen wir mit all dem über das wir betreffend einem Dosis-Änderungsereignis zu einem früheren Zeitpunkt gesprochen haben. Bis das Medikament in einem konstanten Gleichgewicht im Blut ist wird genauso lange dauern. Vielleicht gibt es eine Flitterwochen-Phase, vielleicht auch nicht, und dann fängt die erneute Stabilisierung an.

Sich nach nach einer Wiedereindosierung erneut zu stabilisieren passiert nicht von heute auf morgen. Viele Menschen werden gleich etwas Erleichterung von ihrem Symptomen erleben. Für andere kann es mehrere Tage bis Wochen dauern, bis Verbesserungen sichtbar sind. Also Verbesserungen innerhalb der Symptome. Sobald die Symptome angefangen haben besser zu werden, müssen sie sich weiter verbessern bis ein Zustand erreicht wird, dass sie jeden Tag in etwa gleich sind. Wenn es bei den Symptomen von Woche zu Woche große Schwankungen gibt, wurde noch keine Stabilität erreicht und es ist noch mehr Zeit nötig. Stabilität zu erreichen ist sehr individuell und kann häufig 3 bis 6 Monate dauern. Es gibt sogar Fälle bei denen es 18 Monate bis 2 Jahre dauert, bis nach einer Wiedereindosierung wieder Stabilität eintritt. Viel hängt davon ab, wie schlimm die Symptome waren und wie lange jemand zum Zeitpunkt der Wiedereindosierung das Medikament schon nicht mehr genommen hatte.

Für die meisten wäre dies das Worst-Case-Szenario und wird vermutlich nicht passieren. Wiedereindosierung ist ein sehr nützliches Werkzeug, wenn man es korrekt verwendet, aber es ist ein langsamer, frustrierender und manchmal schmerzhafter Prozess den man am besten vermeidet, indem man von Anfang an vernünftig, langsam reduziert.

Aufdosieren ist ein verwandtes Thema. Das bedeutet die Dosis ganz leicht zu erhöhen um damit Symptome, die außer Kontrolle geraten sind, möglicherweise zu reduzieren. Das wird als Dosis-Änderungsereignis angesehen, auf das alle damit assoziierten Zeiträume anwendbar sind. Sobald das Medikament ein stabiles Gleichgewicht im Blut erreicht hat, zeigen sich nach dem Aufdosieren häufig innerhalb von ein paar Tagen bis ein paar Wochen Verbesserungen. Es kann sich jedoch auch mehrere Monate ziehen, bis deutliche Verbesserungen sichtbar sind. Danach braucht es zusätzlich 2 bis 3 Monate, um sich vollständig zu stabilisieren, bis wieder eine Reduktion in Erwägung gezogen werden kann. Alles in allem ist am Besten, nach einer Aufdosierung 4 bis 6 Monate zu warten, bevor man mit dem Absetzen weitermacht.

Diese Medikamente sind nicht wie frei verkäufliche Schmerzmittel, man nimmt eins davon und nach einer halben Stunde sind die Schmerzen weg. Sie funktionieren, indem sie den physischen Aufbau von Körper und Nervensystem verändern. Manchmal denken die Leute, Aufdosieren sei eine Art Sicherheitsnetz. Viel zu häufig sind Kommentare wie „wenn das zu schnell ist, dosiere ich halt wieder auf und dann geht es mir wieder gut“. Aufdosieren ist ein nützliches Werkzeug wenn die Symptome unerträglich werden, aber wenn es u oft gemacht wird (es gibt keine Definition von „zu oft“) kann es den Körper sensibilisieren und eine Unverträglichkeitsreaktion hervorrufen. Nach einer Unverträglichkeitsreaktion kann es Monate dauern, sich wieder zu stabilisieren.
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(10) Wechselwirkungen zwischen Medikamenten

Psychiatrische Medikamente vertragen sich schlecht sowohl untereinander als auch mit anderen Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln. In der falschen Kombination verwendet können sie extremen Reaktionen, wie Serotonintoxizität oder Serotoninsyndrom hervorrufen, um zwei zu nennen. Diese extremen Reaktionen sind ziemlich gefährlich.

Ein großes Problem ist, dass viele Ärzte dieses Problem vernachlässigen und gefährliche Kombinationen verschreiben. Diese Kombinationen werden meist entdeckt, wenn der Patient selbst anfängt, seine Medikamente zu recherchieren, weil er sich so schlecht fühlt. Das macht es unumgänglich, dass man, wenn jemandem geraten wird noch ein Medikament seinem Cocktail hinzuzufügen oder selbst mit einem Nahrungsergänzungsmittel beginnen will, alle Medikamente überprüft die derjenige nimmt.

Experimente mit Nahrungsergänzungsmitteln sind der zweite Hauptgrund für negative Wechselwirkungen. Jedes Ergänzungsmittel, dass verkauft wird um „die psychische Gesundheit zu verbessern“, „hilft, klarer zu denken“ oder „den Tag leichter zu machen“ wird ziemlich wahrscheinlich in Kombination mit psychiatrischen Medikamenten negativ reagieren. Im Allgemeinen sind Nahrungsergänzungsmittel von fraglichem Nutzen für gesunde Menschen, aber für Menschen, die mit psychiatrischen Medikamenten zu tun haben, sind viele davon regelrecht gefährlich.

Sobald die Wechselwirkung begonnen hat, was eigentlich passiert sobald die Medikamente zum ersten mal zusammen eingenommen werden, reicht es nicht einfach aus, ein oder mehrere der Medikamente nicht mehr einzunehmen um die Situation wieder zu beheben. Wie bereits besprochen muss jedes Medikament über einen gewissen Zeitraum abgesetzt werden, um erfolgreich zu entziehen. Wenn die Wechselwirkung als „sehr schwerwiegend“ aufgeführt werden, kann ein schnelles Absetzen aus Sicherheitsgründen angezeigt sein, was jedoch wenn man es tut die Effekte eines schnelles Absetzens auslöst. Das Problem ist jedoch, selbst man man schnell absetzt können die Wechselwirkungen der Medikamente ein bis zwei Monate anhalten, nachdem sie entfernt wurden (verschiedene Medikamente reagieren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten). Selbst mit einem Kaltentzug von einem oder mehreren Medikamenten, um die Situation zu lindern, wird die Unverträglichkeitsreaktion, die sie ausgelöst haben, noch für einige Zeit bestehen bleiben.
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(11) Entzug-Normal

Entzug-Normal ist der generelle Ausgangspunkt, an dem du dich allgemein befindest. Wenn du dich weder gut noch schlecht fühlst. In etwa der Durchschnitt der letzten Monate zwischen den Fenstern und Wellen. Das Level von Entzug-Normal zu beobachten ist ein guter Indikator dafür, dass die Dinge besser werden. Über die Zeit solltest du eine Anhebung des Standards für Entzug-Normal sehen. Zum Beispiel dass du dich jetzt besser fühlst als vor 6 Monaten. Es verändert sich sehr langsam, ist aber ein sehr guter Indikator.

Viele Leute denken, dass Stabilität bedeutet, sich wieder gut zu fühlen, dabei bedeutet es in etwa sich jeden Tag gleich mittelmäßig zu fühlen mit keinen großen Schwingungen ins gute oder schlechte. Wenn jemand die Dosis reduziert wird es eine zugehörige Verstärkung von Entzugssymptomen über die nächsten paar Tage geben. Diese Symptome werden sich über die nächsten paar Wochen auflösen und derjenige auf eine etwas angehobenen Grundlinie von Unwohlsein zurückkehren.

Der Zeitrahmen und die Schwere hängen von einer großen Zahl von Faktoren ab und sind letztlich bei jedem Individuum einzigartig. Aber das Muster bleibt gleich. Deswegen ist es sehr wichtig, auf das eigene Entzug-Normal zu achten. Es ist Teil davon, auf den eigenen Körper zu hören. Nach einer Dosisreduktion und wenn die Symptome auf Entzug-Normal zurückgegangen sind, sollte derjenige noch ein paar Wochen warten, bis sich die Dinge wirklich beruhigt haben (es finden immer noch einige Veränderungen, die man gar nicht spürt, statt) bevor man sich überlegt wieder zu reduzieren.

Während dieser Wartezeit denken viele Leute, dass sie gar nichts tun und wollen weitermachen. Tatsächlich ist Nichtstun sehr proaktiv/vorausschauend. Es sind diese ganzen nicht spürbaren Dinge die fertig sein müssen, bevor man den nächsten Schritt gehen kann. Es ist als ob man den Kleber fest werden lässt, die Farbe trocknen, den Zement aushärten. Diese Dinge, die fertig sein müssen, bevor es wieder sicher ist, sich auf den Weg zu machen. Wenn man diese Details ignoriert summieren sie sich auf und verstärken sich gegenseitig, und irgendwann bröckelt das Fundament unter uns und alles bricht zusammen.

Wie du gerade lernst ist dies ein sehr langsamer Prozess und zu Beginn sind Änderungen in Entzug-Normal sehr klein und erscheinen nur langsam. Zu Beginn des Absetzens ist der Körper oft in einem derartigen Chaos dass man viele Monate keine äußerlich erkennbaren Fortschritte sieht. Ein paar Glückliche haben schon nach ein paar Wochen erkennbare Veränderungen im Entzug-Normal. Es ist jedoch häufiger dass der erste echt Anstieg des Levels von Entzug-Normal zwischen 9 Monaten und einem Jahr sichtbar wird. Je nachdem in welchem Zustand man zu Beginn ist kann es sogar länger dauern. Ich selbst war ein einem ziemlich schlechten Zustand als ich begonnen habe abzusetzen, und es hat etwa 2 ½ Jahre gedauert bis ich deutliche Veränderungen festgestellt habe.

Mit der Zeit und der Heilung des Körpers werden diese Veränderungen deutlicher hervortreten und häufiger werden. Aber es kann immer noch frustrierend langsam sein. Zu Beginn wird Entzug-Normal all diese Dinge sein, die man zu der Zeit fühlt, akute Angst, Panik, extreme Stimmungsschwankungen, komplette Abwesenheit von Gefühlen, Energie und Mitgefühl. Von diesem Punkt aus stabilisieren sich die akuten Entzugssymptome zuerst. Wie bereits erwähnt kann das viele Monate dauern, aber wenn jemand stabil ist kennzeichnet das einen Anstieg im Level von Entzug-Normal. Sobald das Absetzen begonnen hat kann es mehrere Monate dauern, bis stabile Verbesserungen bemerkt werden. Und so geht es weiter durch den ganzen Entzug. Auch Leute die kalt entzogen oder sehr schnell abgesetzt haben, werden positive Ergebnisse sehen, aber aufgrund der turbulenten Natur ihrer Erfahrung werden sie schwerer zu erkennen sein und länger brauchen, um aufzutauchen.
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(12) Es ist bei „0“ noch nicht zu Ende

Auf eine Art ist das Ende des Absetzens erst der Anfang, jetzt kann die echte Heilung beginnen, ohne die Beeinträchtigung durch die Medikamente. Die letzten Spuren des Medikaments werden nach einigen Wochen aus dem System gespült sein. Dadurch ist der Körper in der Situation, dass er die notwendigen Veränderungen durchführen kann ohne dass er gegen den Einfluss des Medikaments kämpfen muss. Eine der großen Enttäuschungen beim erreichen der „0“ ist, dass alle diese fiesen Symptome nicht einfach wie von Zauberhand aufhören. Wenn das Absetzen korrekt durchgeführt wurde sollten die Symptome minimal sein, es besteht dennoch die Wahrscheinlichkeit dass man das Muster aus Wellen und Fenster noch eine Zeit lang erlebt.

Die große Frage ist „wie viel länger noch?“ Das können wir nicht sagen, denn wie ich bereits zuvor gesagt habe ist „die Erfahrung jeder Person anders“. Es ist auch schwer zu sagen, da Mitglieder in Foren, dazu neigen die „0“ zu erreichen, abspringen und verschwinden. Hinsichtlich Tagebucheinträgen gibt es sehr wenig, was uns eine Richtung weist. Was wir gesehen haben ist dass die meisten Leute nach dem kompletten Absetzen noch ca. 1 Jahr Symptome haben. Diese Symptome werden im typischen Fenster und Wellen Muster auftreten mit dem Plus dass die Fenster besser sein und länger anhalten werden, und die Wellen im allgemeinen in Schwere und Intensität abnehmen werden.

Es gibt eine große Ausnahme bei diesem Muster. Diese bezeichnet man als „10-Monats-Welle“, weil sie typischerweise im 10. Monat auftritt. Tatsächlich kann sie jederzeit zwischen 7 und 12 Monaten auftreten, aber 10 Monate ist am häufigsten. Ein beitragender Faktor zum Muster dieser Welle ist, dass um diese Zeit etwa sich die Menschen sehr sicher in ihrer Heilung fühlen. Das kann dazu führen, dass sie in ihren Handlungen nachlässig werden. Ein großer Faktor dabei, dass sehr gute Heilungen vom Weg abkommen ist, wenn Alkohol getrunken wird, und dann passiert das auch oft. Wir hatten vor kurzem den Fall eines Mitglieds das seit mehreren Jahren Medikamenten frei war und bei dem eine ausgezeichnete Heilung im Gang war. Derjenige hatte ein paar alkoholische Getränke übers Wochenende zu sich genommen und so alles seine Symptome wieder ausgelöst. Zum Glück haben sich diese nach ein paar Tagen verzogen, aber das ist nicht immer der Fall.

Die 10-Monats-Welle wird üblicherweise sehr schnell und heftig zuschlagen. Unerwartet über Nacht aufbrausen. Es ist häufig dass diese Welle für 2 bis 5 Wochen schwerwiegend ist, bevor sie wieder endet. Manchmal endet sie so schnell, wie sie gekommen ist, in anderen Fällen nimmt sie langsam über mehrere Tage wieder ab. Es gibt vielfach eine ähnliche, jedoch weniger schwere Welle die nochmal bei 12 Monaten zuschlägt, und in machen Fällen, eine weitere um 18 Monate rum. Die letzten zwei neigen dazu jedes mal weniger schwer zu sein. Zuletzt habe ich von einer Welle gehört, die ungefähr an der 3-Jahres-Grenze auftritt, habe aber noch nicht viel darüber herausfinden können.

Wenn diese Wellen, besonders die 10-Monats-Welle auftreten, sind das wichtige Meilensteine. In den meisten Fällen sind sie Anzeichen für große Verbesserungen und darauf folgt ein großer Anstieg in der Heilung-Normal Grundlinie, die jemand erlebt. Heilung-Normal ist die nach „0“ Entsprechung zu Entzug-Normal während der Absetzphase. Die Heilung-Normal Grundlinie wird sich über die nächsten Jahre weiter verbessern bis ein Erscheinungsbild von völliger Normalität erreicht ist.

In manchen Fällen wird der Entzug über Nacht enden, indem sich ein letztes Fenster öffnet. Aber meistens tritt er einfach langsam in den Hintergrund und verschwindet unbemerkt.
Jodie13
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(13) Was man unterwegs tun kann

Dies ist keine Abhandlung darüber wie man absetzt, aber es gibt ein paar Dinge die man tun kann, die die Situation verbessern und möglicherweise für mache Leute die Sache beschleunigt. Wenn man im „Surviving Antidepressants Forum“ liest sieht man jeden Tag Hinweise auf diese Dinge und sollte sie kennen. Kommunikation/Austausch, ein Unterstützungssystem, Bewältigungs-Strategien und Akzeptanz sind vier wichtige Schlüssel für eine erfolgreiche Reise.

Über unsere Gefühle zu sprechen ist schon in guten Zeiten schwer. Wenn unser Geist vernebelt und und unsere Erinnerungen verschlossen wird es wirklich hart. Dennoch ist es sehr wichtig, klar darüber zu reden oder zu schreiben. Ansonsten wird niemand wissen was in unserem Inneren los ist. Es ist wichtig, was wir fühlen, was wir tun, die guten Dinge die an einem Tag passiert sind, festzuhalten und Leute daran teilhaben zu lassen.

Wichtig ist jedoch sich daran zu erinnern, dass lange Listen und Beschreibungen darüber „wie schmerzhaft es ist“ und Verallgemeinerungen wie „ich kann so nicht weitermachen“ keinem nützlichen Zweck dienen und oft die negativen Aspekte eines Antidepressiva-Entzugssyndroms verstärken werden. Auf die Art gibt man den schlechten Gefühlen und schmerzhaften Erfahrungen Macht, wodurch sie noch schwerer zu überstehen sind. Übermäßig optimistisch zu sein kann jedoch den gleichen Effekt haben. Eine Balance in allem ist wichtig.

Wenn man die Unterstützung einer liebenden Familie und Freunden hat hilft das, die Last zu erleichtern. Das ist, aufgrund der Länge des Entzugssyndroms, keine einfache Übung. Viele Freunde werden unterwegs abspringen, weil man sich aus ihrer Sicht nicht genug anstrengt und Fortschritte machte. Hier wird die oben erwähnte Kommunikation wichtig. Besonders bei einem/r Lebenspartner/in oder anderen engen Angehörigen. Die Erfahrung ist auch für sie von außerhalb ziemlich frustrierend. Ein wenig Bestätigung, ein „Ich liebe dich“ und „danke für all deine Unterstützung“ können viel darin bewirken, dass sie einen weiter unterstützen. Wir alle wollen uns lieber irgendwo verkriechen und verstecken bis alles vorbei ist, aber es ist einfach gut, Freunde und Familie um sich zu haben und mit ihnen in Kontakt zu sein.

Die physischen Dinge, die wir bezüglich des Entzugssyndroms tun können sind sehr begrenzt. Wir können unsere Dosis sorgsam anpassen und warten. Es gibt nur zwei Nahrungsergänzungsmittel* (s. Hinweis am Ende des Posts) die einigen Leuten nutzen, abgesehen davon gibt es nicht viel mehr, was wir ändern können. Hier wird ein „Baukasten“ aus Bewältigungs-Strategien wichtig. Es gibt eine Vielzahl von Dingen, die man auf psychischer Ebene tun kann, um die Symptome zu erleichtern, zu viele tatsächlich um sie hier aufzuzählen. Aber sie machen einen Unterschied und mit Übung können sie den Verlauf eines Entzug zum besseren hin verändern und gleichzeitig Strategien zum Umgang mit Schwierigkeiten für ein ganzes Leben liefern.

Der letzte der vier Schlüsselaspekte, aber wahrscheinlich der wichtigste, ist Akzeptanz. Wir haben uns gezwungenermaßen in einer Position wiedergefunden, die niemand sollte durchmachen müssen. Dennoch sind wir hier und können nicht viel dagegen tun. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, wir können dagegen ankämpfen, herumschreien, brüllen und uns auf die Brust trommeln, oder wir können die Lage, in der wir sind akzeptieren und tun, was wir können, um es erträglich zu machen während wir uns da heraus arbeiten. Kurz gesagt, „das beste aus einer Situation machen, die wir uns nicht ausgesucht haben“.

Eine letzte Sache kann wirklich helfen, und das ist guter Schlaf. Leider kann dies ein großes Problem sein bei vielen Leuten, die ihre Medikamente reduzieren. Jedes dieser Medikamente hat, so stellen wir fest, Schlaflosigkeit sowohl als Nebenwirkung als auch als Entzugssymptom. Dieses Symptom tritt in Wellen auf und kann sehr kräftezehrend sein, wenn es auftritt. Aber Wellen hören auch irgendwann wieder auf. In der Zwischenzeit ist es sehr wichtig, eine gute Schlafhygiene zu erlernen und zu praktizieren. Der Körper braucht Schlaf, um zu heilen, und wir müssen alles was uns möglich ist tun, um ihm zu helfen, dieses Ziel zu erreichen.

Wenn wir unseren natürlichen Schlafrhythmus nicht beachten kann das zu großen Problemen führen. Lange wach zu bleiben und am Computer über den Entzug zu recherchieren kann ein großer Faktor sein und sollte nicht unterstützt werden. Es gibt verschiedene Threads zum Umgang mit Schlaf, daher werde ich hier nicht ins Detail gehen. Außer zu sagen „mach den Computer aus und geh ins Bett“. Sogar wenn du nicht einschläfst, nur still dazuliegen wird helfen.

Ein Antidepressiva-Entzugssyndrom verursacht dem Körper so viel Stress, dass es ihn buchstäblich zerreißt. Dem ganzen obendrauf auch noch psychischen Stress hinzuzufügen gießt nur Öl ins Feuer und macht es noch schlimmer. Indem wir die Situation akzeptieren, mit Freunden darüber reden und tun, was wir können damit es uns halbwegs angenehm ist, machen wir eine unangenehme Reise etwas mehr erträglich.

*Die einzigen zwei Nahrungsergänzungsmittel die Surviving Antidepressants empfiehlt sind Magnesium und Omega-3 Fischöl. Viele Leute finden sie hilfreich. Probiere davon jeweils nur ein bisschen um zu sehen, wie es auf dich wirkt.
Jodie13
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Re: brassmonkey : Wie lange dauert der Entzug? (Übersetzung)

Beitrag von Jodie13 »

(14) Also, wann sind wir da?

Wie jedes Elternteil, dass diese Frage bekommt, werde ich die traditionelle Antwort geben. „Wir sind da, wenn wir ankommen.“ Es gibt einfach zu viele Faktoren im Zusammenspiel zwischen den Medikamenten und der individuellen Physiologie einer Person sowie der äußeren Umstände, so dass es unmöglich vorauszusagen ist. Das einzige was man sagen kann ist dass es länger dauern wird als wir alle gerne hätten.

Wenn wir uns dafür entscheiden, unsere Abhängigkeit von psychiatrischen Medikamenten zu reduzieren machen wir einen großen, furchteinflössenden Schritt ins Ungewisse. Die etablierte Medizin weiß sehr wenig darüber, wie man die Abhängigkeit von diesen Medikamenten verringert und wird regelmäßig falsche Informationen darüber geben, wie man es tun sollte und kann durch ihren Wissensmangel manchmal Leute in sehr unangenehme Zustände zwingen. So beängstigend und schmerzhafte diese Zustände auch sind, nach Entfernen der Medikamente werden sie sich letztlich selbst korrigieren und unsere Körper werden heilen. Das einzige was sicher funktioniert ist Zeit, sehr sehr viel Zeit.

Jeder Schritt der Reise muss sehr vorsichtig unternommen werden, denn es ist ein rutschiger Pfad, voll von Dingen über die man Stolpern kann. Wenn man hinfällt, ist es schwerer wieder aufstehen und die Reise fortzusetzen. Jeder ist anders darin, wie schneller er den Pfad überqueren kann, aber alle müssen sehr langsam vorgehen, ein Schritt nach dem anderen. Es gibt wenig, an dem man sich unterwegs festhalten kann um nicht zu fallen, und fast nichts, dass hilft, die Dinge zu beschleunigen. Aber es gibt ein paar Dinge die helfen, damit die Zeit etwas angenehmer vergeht.

Der menschliche Körper ist eine unglaubliche Sache. Von der ersten Verbindung zweier einzelner Zellen an beinhaltet er alle notwendigen Informationen, um sich selbst zu bauen. Wenn er kaputt geht, hat er alle Informationen um sich selbst zu reparieren und anzupassen. Er ist jedoch ein derart komplexer Mechanismus dass es ziemlich viel Zeit braucht um herauszufinden, was nicht stimmt, das Problem eine Zelle nach der anderen auszugleichen und die Ergebnisse zu überprüfen.

Nach letzten Rechnungen geht man davon aus dass im Durchschnitt 32,7 Billionen Zellen im menschlichen Körper sind. Etwa 95% dieser Zellen werden jedes Jahr erneuert. Das sind sehr viele Zellen und Erneuerungen, über die der Überblick behalten werden muss. Wenn dazu noch der Versuch kommt, die Veränderungen, die psychiatrische Medikamente an jedem Teil und körperlichen System verursacht haben, in Ordnung zu bringen, bedeutet dass eine riesige Aufgabe. Das führt zu der alten Frage „Wie isst man einen Elefanten? Einen Biss nach dem anderen.“ Wieder und wieder und wieder...
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