Hallo ihr Lieben,
es ist wieder ein Jahr rum seit meinem letzten Update. Und es ist wieder einiges passiert, so dass es einiges zu erzählen gibt...
Bei Fragen einfach fragen! Freue mich aber auch einfach so über Feedback, vorallem, wenn ihr euch in meinen Erlebnissen wiederfindet!
LG
Lukas
Update - drei Jahre nach dem Absetzen: Entwicklungen, über die ich mich freue
Ein Krisenjahr geht zu Ende
Mittlerweile schaffe ich es ganz gut, meinen Schmerz nicht mehr auszublenden, sondern mich zu meiner Frau zu kuscheln, mich auf mein Herz zu fokussieren und den Tränen freien Lauf zu lassen. Der Schmerz löst sich dabei etwas auf und der Tag kann ungestört weitergehen.
Das ist mir im letzten Jahr so gar nicht gelungen, so dass es zu einem waschechten Ätz-Jahr wurde. Beim letzten Update hatte ich den Eindruck, die düstere Phase von damals hinter mich gebracht zu haben, vielleicht erinnert ihr euch ja. Das hat so aber nicht ganz hingehauen - kam raus, es war wohl eher die Ruhe vor dem Sturm.
Und der ging so: die meiste Zeit habe ich mich innerlich abgekapselt und konnte dadurch meiner Partnerin emotional oft nicht zur Seite stehen, wenn sie es brauchte. Aus meiner persönlichen Krise wurde eine Ehekrise, in der wir uns teilweise fremd wurden. Ein nur schwer zu verdauender Bruch mit dem, was uns die ersten Jahre als Paar ausgemacht hat: aus dem „wir sind ein
Team“ wurde ein verworrenes
Gegeneinander. Ich kam mir manchmal vor wie ein hoffnungsloser Fall, der nicht weiß wie ihm gespielt wird. Was ist mit mir los? Warum stoße ich die Menschen um mich herum derart von mir?
Dass ich mich über lange Zeiten zu einem zynischen Arschloch gewandelt hatte, wurde mir auf halber Strecke bewusst. Auch, dass meine Launen und Stimmungsschwankungen meiner Partnerin arg zusetzen.
„Du bist nur noch ein Schatten deiner Selbst.“, meinte sie einmal, und wollte damit ihrer Verzweiflung Ausdruck verleihen. Ich fühlte mich oft innerlich zerrissen und empfand mich als Schwachmaat, wollte ich doch unbedingt ein guter Lebenspartner sein.
Aber wie mit dem Anti-Sein aufhören?
Als Vater kam ich nach wie vor recht gut klar; nur, wie kann ich wieder der werden, in den sich meine Frau vor fünf Jahren verliebt hatte? Wir befanden uns in einem Teufelskreislauf, an dessen Ende wir immer wieder über eine Beziehungspause nachdachten - von meinen drängenden suizidalen Bedürfnissen ganz zu schweigen.
Was ich damals nicht wusste: mit diesen Krisen bekam ich langsam und unmerklich einen Zugang zu mir. Und damit eine Antwort auf die Frage, warum ich auf meiner Rolle nicht klarkam.
Antworten auf die Fragen „wer und was bin ich?“
Dieses Identitäts-Thema hat mich viel beschäftigt. Ich meine, woraus besteht meine Psyche eigentlich konkret? Und in welchem Verhältnis steht sie zum Körper?
Dabei interessieren mich theoretische Überlegungen eher weniger, ich möchte es direkt erfahren - indem ich in mich hineinschaue und das zu Gesicht bekomme, was ist. Also meiner Wahrheit und meiner inneren Realität auf die Spur komme. Und diese führte mich in eine (innere) Welt, wie sie zum Beispiel im Ayurveda und der Chakrenlehre beschrieben wird. Am Ende stand für mich fest: hinter meiner psychischen Not steht vor allem eine spirituelle Krise, in der es darum geht, mit meinem inneren Kern in Kontakt zu sein.
Gut unterwegs mit meinen Stimmen
Inzwischen kann ich sagen: zu meinem inneren Kern gehören Stimmen - ich höre Stimmen!
Wobei ich sie auch sehen kann, weil sie verschiedene Farben, Formen und Charaktere annehmen. Dazu kommt noch, dass ich eine synästhetische Wahrnehmung habe, was mir erst vor ein paar Monaten bewusst wurde.
Manche Synästhetiker nehmen zum Beispiel Zahlen farbig wahr oder können Worte schmecken.
In meinem Fall heißt Synästhesie: meine Gefühle haben Formen und eine Persönlichkeit, geben Geräusche von sich oder erzeugen Farben. Zu den unsichtbaren Geschmäckern wie
salzig oder
bitter entdecke ich nach und nach weitere, die ich ebenfalls sehen kann. Es ist nur schwer zu beschreiben, aber ein richtig gutes Brot schmeckt für mich nicht nur nach Dinkel und Sesamkernen, sondern glüht auch auf gewisse Weise golden. Und Berührungen in meinem Gesicht erzeugen ein wohliges Brummen bzw. katzenähnliches Schnurren im Kopf. Ob sich diese Tiere ähnlich fühlen, wenn sie so gemütlich vibrieren?
Da wären noch andere synästhetische Eindrücke bei mir, aber ich möchte an dieser Stelle auf einen bestimmten Punkt hinaus: Einiges von dem begleitet mich schon mein Leben lang, ohne dass ich etwas von Synästhesie gewusst hatte. Dass meine Gefühle aber zum Beispiel einen Charakter besitzen, ist erst nach der Traumabearbeitung und dem Medikamentenabsetzen zum Vorschein gekommen. Denn ich war vom Trauma offenbar ähnlich betäubt wie von den Psychopharmaka und konnte meine Gefühle kaum wahrnehmen.
Warum meine synästhetischen Eindrücke so wichtig sind
Doch genau hier liegt der Hund begraben: ich komme erst dann gut mit meinen Emotionen klar, wenn ich ihre synästhetischen Ausdrucksformen wahrnehme. Je intensiver ich das mache, je eindrücklicher die visuellen und akustischen Eindrücke sich entfalten dürfen, umso gründlicher ebben die Gefühle ab. Ich muss manchmal einigen Mut aufbringen, um die volle Bandbreite davon erleben zu können. In der Regel empfinde ich meine synästhetischen Wahrnehmungen aber als ästhetisch und genieße es dann, in ihnen zu leben.
Ein toller Effekt davon ist, dass ich Gefühle nun oft simultan verarbeiten kann. Ich höre zum Beispiel jemanden aufmerksam zu und schaue mir dabei das visuelle Geschehen an, das dabei entsteht und nur ich sehen kann.
Dasselbe Prinzip gilt auch für meine Stimmen. Solange sie von mir unbeachtet bleiben, haben sie einen enormen Einfluss auf mich und verursachen oft viel Leid. Hier hilft mir am meisten, sie achtsam wahrzunehmen und ihnen ohne Wertung zuzuhören. Manchmal keine einfache Aufgabe, aber es lohnt sich oft. Denn dadurch kann ich mich gut von ihnen lösen und bleibe der Herr im Haus.
Es ist wie in der Beziehung zu Menschen. Sie gelingt mir am besten, wenn ich mein Gegenüber nicht verändern will, sondern aus echtem Interesse in ihr Leben schaue.
Seitdem ich offen für meine Stimmen und meine synästhetischen Eindrücke bin, kann ich also "wesensgerecht" mit meinen Gefühlen umgehen, die eben auch in Form von Stimmen auftauchen können. Und so komme ich auch viel besser klar, gerade mit schmerzhaften Emotionen. Besonders freue ich mich über die Auswirkung von alldem auf unsere Ehe. Wir haben uns inzwischen von den Strapazen erholt und befinden uns wieder in ruhiges Fahrwasser.
Man könnte meinen, je mehr ich meine "verrückte" Seite annehme, desto funktionaler werde ich...
Die Vielfalt menschlicher Wahrnehmung ist wirklich faszinierend. Und vielleicht geht es anderen, die im Leben bisher auch nicht gut klargekommen sind, ähnlich wie mir – sie haben ihre ureigene Art der Wahrnehmung noch nicht entdeckt und brauchen noch etwas Zeit, um dahinter zu kommen.
Meine Bilanz drei Jahre nach dem Absetzen
Mich bewegt das bis heute immer wieder, über sieben Jahre Medikamente eingenommen zu haben. Irgendwie fühle ich mich dem Thema nach wie vor verbunden. Warum habe ich damit überhaupt begonnen? Muss ich es bereuen, sie genommen zu haben? Oder sie abgesetzt zu haben? Welche Unterschiede sehe ich mittlerweile zwischen meinem Leben mit und ohne den Substanzen?
Zusammenfassend bin ich recht glücklich mit meiner Drei-Jahres-Bilanz: Die positiven Entwicklungen aus den ersten beiden Erfahrungsberichten sind weitergegangen. Mit einigen Auf und Abs, aber doch ganz klar erkennbar.
Rückblickend betrachtet sehe ich zwar nicht mehr eine gesundheitliche Begründung für meine damalige Medikamenteneinnahme, habe aber meinen Frieden damit gefunden. Aus meiner jetzigen Sicht gehören die Substanzen nämlich zu meinem Lebensweg dazu, sie haben biographisch und kulturell gesehen Sinn gemacht.
Heute würde ich Medikamente aber als kontraproduktiv empfinden, da ich ja darauf angewiesen bin, meine Gefühle und Stimmen deutlich wahrzunehmen, um überhaupt gut klarkommen zu können.
Und sie würden mir auch bei meiner weiteren körperlichen Gesundung in die Quere kommen, denn es gibt offenbar noch einiges zu tun, um meiner Leber auf die Sprünge zu helfen und zum Beispiel Entzündungsprozessen beizukommen.
Was mich noch erwartet
Es ist noch lange nicht alles gut. Was jahrelang in mir eingeschlossen war, wird mich noch länger begleiten und immer wieder beschäftigen. Mittlerweile möchte ich aber nicht mehr auf den Tag warten, an dem ich mit meinen seelischen Altlasten durch bin, um glücklich zu sein.
Nach und nach mache ich auch die Erfahrung, dass ich trotzdem zufrieden sein kann und trotz allem Lebensglück empfinden kann. Das gelingt mir auch immer besser, seitdem ich einen guten Draht zu mir gefunden habe. So beginne ich wieder mit Zuversicht nach vorne zu schauen und bin gespannt auf das, was da kommen mag.