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Psychiater Tom Bschor über Antidepressiva-Mythen

Eine Sammlung von Artikeln, die über wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Hintergründe der Behandlung von seelischen Leiden mit Psychopharmaka berichten.
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Murmeline
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Psychiater Tom Bschor über Antidepressiva-Mythen

Beitrag von Murmeline »

INTERVIEW „Manchmal hilft eine Pille einfach nicht“
Von Jahr zu Jahr werden in Deutschland mehr Antidepressiva verschrieben. Ihre Wirksamkeit wird jedoch bezweifelt. Tom Bschor, Chefarzt der Abteilung Psychiatrie der Berliner Schlosspark-Klinik und Mitautor der deutschen Versorgungsleitlinie für Depression erklärt, wann Medikamente helfen und was es mit therapeutischem Schlafentzug auf sich hat.

http://www.igp-magazin.de/manchmal-hilf ... ach-nicht/

Infos zu Psychiater Tom Bschor (u.a. Ordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und dort Sprecher der AG Psychiatrie) http://www.bschor.de/
Erfahrung mit Psychopharmaka (Citalopram, langjährig Venlafaxin und kurzzeitig Quetiapin), seit 2012 abgesetzt
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Re: Psychiater Tom Bschor über Antidepressiva-Mythen

Beitrag von Murmeline »

Das Interview findet vor dem Hintergrund statt, dass Studien zeigen, dass Antidepressiva kaum besser wirken als ein Placebo, also ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff. Gut die Hälfte der Wirkung eines Antidepressivums lässt sich (rechnerisch auf Daten der Studien) auf eine Placebo-Wirkung zurückführen, ein Viertel auf einen echten pharmakologischen Effekt und ein Viertel ist natürlicher Verlauf.

Aussagen von Tom Bschor:
Der Placebo-Effekt ist ja nichts Schlechtes. Er aktiviert Selbstheilungskräfte und bewirkt, dass es den Menschen besser geht. Aber es stimmt: Nachweislich lässt sich nur ein Viertel der Wirkung eines Antidepressivums auf einen echten pharmakologischen Effekt zurückführen. Der Rest ist Placebo-Wirkung und natürlicher Verlauf – Depressionen gehen manchmal von alleine wieder weg.
Aufklären muss man über Risiken und Nebenwirkungen. Die Pflicht, über das Ausmaß des Placebo-Effekts zu informieren, hat der Arzt tatsächlich nicht. Ich würde es in der Regel auch eher nicht tun, da mit dem Wissen oft auch die Placebo-Wirkung nachlässt.
Wichtig ist auch, dass wir Ärzte unsere Patienten nicht zur Einnahme von Antidepressiva überreden – denn ist der Betroffene ängstlich und fühlt sich zur Therapie gedrängt, wird auch kein positiver Placebo-Effekt eintreten. In der Praxis kommt das Überreden von Patienten leider zu häufig vor. Unter anderem auch, weil manche Ärzte sich mit den Antidepressiva, die sie verordnen, zu wenig auskennen.
Die meisten glauben, dass Depressionen durch einen Serotoninmangel im Gehirn verursacht werden, der sich durch Medikamente beheben lässt.
Antidepressiva erhöhen zwar die Serotoninkonzentration im Gehirn, doch daraus lässt sich nicht schließen, dass vorher ein Serotoninmangel bestand. Außerdem tritt die Serotoninerhöhung bereits nach wenigen Minuten, also fast sofort ein. Dem Patienten geht es hingegen erst nach gut vier Wochen besser. Seit einiger Zeit gibt es in Deutschland sogar ein Antidepressivum, das genau entgegengesetzt funktioniert und die Konzentration von Serotonin verringert. Trotzdem wirkt es genauso gut, an genauso vielen Patienten, in genau derselben Zeit. Einen einzigen Botenstoff für Depression verantwortlich zu machen, ist schlicht weg zu simpel.

Warum hält sich diese Mär trotzdem? Weil es an den Universitäten so gelehrt wird und Patientenbroschüren das Märchen dankbar aufgreifen. Schließlich stellt die Theorie alle Beteiligten zufrieden: Die Patienten bekommen eine Erklärung, was mit ihnen los ist, und ein Medikament, das ihnen oft tatsächlich hilft. Ärzte können auf dieser Basis ein Heilmittel anbieten und die Firmen können ihre Tabletten verkaufen.
Ärzte müssen lernen, ihre eigene Behandlung kritisch zu hinterfragen. Wenn ein Patient auf ein Antidepressivum und vielleicht auch auf ein zweites nicht anspricht, sollte ich darüber nachdenken, auf eine medikamentöse Behandlung zu verzichten. Die meisten Ärzte „medikamentieren“ so lange herum, bis sie meinen, das beste Antidepressivum gefunden zu haben. Kaum jemand gesteht sich ein: „Hier, in diesem Fall, helfen Pillen einfach nicht.“ Manche Patienten nehmen seit über zehn Jahren Antidepressiva ein, sind dauerhaft krankgeschrieben und trotzdem wird das Medikament nicht abgesetzt.

Ich finde die Auusgaen vom Tom Bschor ganz gut, aus eigenen Reihen Knackpunkte zu hören.


Problematisch finde ich, dass der Artikel bei der ganzen "wenig wirksam" Placebo-Diskussion nicht aufgreift, wie "wirksam" Antidepressiva sein können. Also ich meine, dass eine solche Diskussion ohne explizite Hinweise auf potentielle Nebenwirkungen körperlicher, kognitiver & psychischer Natur und ohne Hinweis auf ein potentielles körperliches Abhängigkeitspotential (im Sinne von körperlichen Adaptionsprozessen des Organsimus) mit ebensolchen Absetz-/Entzugsphänomenen dazu führen kann, dass diese Symptome völlig unterschätzt werden.

Nicht besser als ein "wirkungsloses Placebo"? Dann kann ich es auch problemlos nehmen und problemlos absetzen - ich denke, ihr wisst, was ich meine.

Oder wie seht ihr das?
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Oliver
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Re: Psychiater Tom Bschor über Antidepressiva-Mythen

Beitrag von Oliver »

Hallo,
Murmeline hat geschrieben:Nicht besser als ein "wirkungsloses Placebo"? Dann kann ich es auch problemlos nehmen und problemlos absetzen - ich denke, ihr wisst, was ich meine.
Der Titel des Artikels im Arzneimitteltelegramm aus dem Jahre 2005 macht da die Problematik schon klarer:

ANTIDEPRESSIVA: LEBENSGEFÄHRLICHE PLAZEBOS?
Arzneimitteltelegramm hat geschrieben:
  • Belege für einen suizidverhütenden Effekt stehen für alle Antidepressiva aus.
  • Zusammenfassende Daten aus randomisierten kontrollierten Studien weisen auf eine Zunahme von Selbsttötungstendenzen durch Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern wie Paroxetin (SEROXAT u.a.) hin. Trizyklische Antidepressiva bergen möglicherweise ähnliche Risiken.
  • Die Höhe des Risikos lässt sich mit den vorhandenen Studien aufgrund der erheblichen methodischen Probleme nicht zuverlässig bestimmen. Prospektive Langzeitstudien mit adäquater Erfassung von Sicherheitsdaten sind daher dringend zu fordern.
  • Gemessen an der üblicherweise verwendeten HAMILTON-Depressionsskala liegt der Nutzen von Antidepressiva nur unwesentlich über dem von Plazebo. Selbst dieser geringe Effekt kann wegen der Entblindung durch typische Störwirkungen vorgetäuscht sein.
  • Trotz jahrzehntelanger Anwendung sind weder Wirksamkeit noch Sicherheit der verfügbaren Antidepressiva ausreichend belegt.
Alles Gute
Oliver
Ich sag jetzt auch einfach mal in meiner Signatur Hallo und Tschüss :)

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Re: Psychiater Tom Bschor über Antidepressiva-Mythen

Beitrag von Clarissa »

Hallo.

Ich finde mich selbst bei der Einteilung der Depressionen/Antidepressiva nicht wieder.

Bei mir hatten AD von Anfang an verheerende (Neben-)Wirkungen. Es führte dazu, daß es mir unter AD immer schlechter ging. Das wurde allerdings von den damaligen Behandlern so nicht akzeptiert. Zum Aushalten der NW bekam ich Benzos! Übrigens glaubte ich damals noch der Lehrmeinung über AD und habe sie geschluckt, obwohl sie mich noch mehr ins Abseits drängten.

Ich bin auch überzeugt, einen Teil meiner anhaltenden Beschwerden einer Schädigung durch AD/NL zu "verdanken".

AD mit Placebos gleichzustellen, das ist m.E. ein inakzeptables Herunterspielen von in den Hirnstoffwechsel eingreifenden Medikamenten.

VG sendet sleepless.
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Arianrhod
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Re: Psychiater Tom Bschor über Antidepressiva-Mythen

Beitrag von Arianrhod »

Murmeline hat geschrieben:Nicht besser als ein "wirkungsloses Placebo"? Dann kann ich es auch problemlos nehmen und problemlos absetzen - ich denke, ihr wisst, was ich meine.
IMHO ist diese Aussage viel schlimmer : Die HAUPTwirkung , also die erwünschte Wirkung ist nicht besser als bei einem Placebo, aber dafür kann das Medikament trotzdem eine Menge Nebenwirkungen haben. Man nimmt also etwas ein, das nicht hilft, sondern nur schadet - ein klarer Verstoß gegen die ärztliche Leitlinie " "primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare", - erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen" (Quelle https://de.wikipedia.org/wiki/Primum_non_nocere)

liebe Grüße Arianrhod
[spoil]2005 mit Burnout und Depression in eine Tagesklinik gekommen.

Zuerst einmonatige Behandlung mit diversen Antidepressiva: Doxepin, Mirtazipin, Sulprid,
hypomane Reaktion
wobei die AD sofort und ohne Ausschleichen von den Ärzten abgesetzt wurden.


Verschiedene Diagnosen: schizoaffektive Psychose, Depression, bipolare Störung, Schizophrenie, dissoziative Identitätsstörung


Erst 2 Jahre Behandlung mit Amisulprid . Zu schnell auf eigene Faust abgesetzt.
Schwere Supersensitivitätspsychose .

Einstellen auf verschiedene Neuroleptika: Haloperidol, Quetiapin, Olanzapin, Risperidon, Paliperidon, Aripiprazol
Außerdem Lorazepam, Promethazin, Chlorprothixen, Melperon, Pipamperon

jahrelang , vieles gleichzeitig und in höchster Dosierung.
u.a. Berentung, 60 kg Gewichtszunahme
seit 2012 Ausschleichen von 800 mg Quetiapin retard innerhalb von 2 Jahren.
Meinen Absetzbericht findet man hier:
http://adfd.org/austausch/viewtopic.php ... 47#p120447
Seit Januar 2014 keine Neuroleptika mehr.

Ich leide seit 3 Jahren unter Nervenschmerzen, Kribbeln und Lähmungen. Bei mir wurde eine Polyneuropathie diagnostiziert und ein Zusammenhang mit NL vermutet - leider nicht beweisbar.

Außer Neuroleptika habe ich zwischenzeitlich auch Oxycodon ( ein Opioid) und Trimipramin nach zweijähriger Einnahme abgesetzt , die ich wegen chronischer Schmerzen verschrieben bekommen habe.
Pregabalin habe ich am 7.9.2016 endgültig ausgeschlichen.

Die Anzahl meiner Dauermedikamente beträgt gerade "0". :)

Ich weiß mittlerweile 2019 , dass ich Asperger- Autistin bin .
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